Die Begriffe prangen an der Tafel einer Universität, doch blicken in den Kopf des vor ihr stehenden Mannes: Kontrolle, Abstraktion, These, Antithese, Synthese, Propaganda. Und dreifach unterstrichen: phänomenologische Analyse. Was diese Begriffe bedeuten? Der Geschichtsdozent, Adam, weiß darauf eine Antwort, obwohl sie später die falsche zu sein scheint. Der Schauspieler, Anthony, weiß darauf keine Antwort, weil es zunächst keiner Antwort bedarf. Nun heißt Denis Villeneuves Film vermutlich nicht „Enemy“, weil er einen äußeren Feind, sondern einen inneren meint. Adam und Anthony: Das sind zwei Menschen – identisch wie genetisch eineiige Zwillingsbrüder. Nur, dass sie keine sind; dass der eine den anderen nicht kennt, bis er sein Gesicht plötzlich in einem Film sieht. Zufall? Schicksal? Oder gleich übernatürliche Macht?

Ob diese Fragen überhaupt auf eine Antwort zulaufen, ließ sich bislang nach einmaliger Sichtung zumindest recht ungenügend beantworten, selbst wenn man bereits José Saramagos Roman „Der Doppelgänger“ kannte, auf dem der Film basiert. Dafür müssen wir uns nun – ab 10. Oktober – nicht mehr nach einer weiteren Möglichkeit sehnen, die im Rahmen der Kinoveröffentlichung ausblieb. Schließlich erscheint der Film dann über Capelight Pictures auf DVD, Blu-ray und in einer weiteren Limited Edition mit beiden Medien, zuzüglich regen Bonusmaterials.

Der Film

Denn „Enemy“ ist ein Potpourri an Illusionen, Wirklichkeiten und möglichen Deutungen – inklusive Mindfuck-Garantie. Doch letztlich ist der Film vor allem eins: ein ästhetisches Gesamtkunstwerk. Die zwiespältige Stimmung, die durch den gelb-braunen Farbfilter erzeugt wird, bleibt von Anfang bis Ende erhalten. Die Frage, „Was ist denn jetzt eigentlich real und was nicht?”, rückt dabei immer weiter in den Hintergrund, bis sie letztlich völlig redundant wird. Der Doppelgänger wird zur Projektionsfläche für die eigenen Ängste. Wer oder was diese Person eigentlich ist, wird unwichtig. Alter ego? Eine zufällige Begegnung? Der eigene Zwilling? Ein Klon? Egal. Aber was kann eine solche Begegnung mit mir und meinem Umfeld machen? „Enemy“ gibt keine Antworten, aber wirft viele Fragen auf, Fragen, die sich ein jeder stellen mag. Die Grenzen zwischen Wahn, der eigenen Imagination und der Wirklichkeit werden aufgelöst und jedem Einzelnen selbst überlassen. Ob der Doppelgänger nur der Feind im eigenen Körper ist, bleibt jedem selbst überlassen.

Umsetzung für das Heimkino

DVD
Entgegen der vielmehr mauen amerikanischen Fassung finden sich hier neben dem ebenso veröffentlichten Making of „Lucid Dreams“ (knapp 17 Minuten) weiters auch Langfassungen der darin verwendeten Interviews mit Jake Gyllenhaal (18 Minuten), Isabella Rossellini (4 Minuten), Melanie Laurent (4 Minuten), Sarah Gadon (6 Minuten) und Denis Villeneuve (11 Minuten). Es sind Spekulationen wie Interpretationen; vage wie konkret. Ein Featurette (4 Minuten) gibt weitere Einblicke in die Dreharbeiten. Dazu finden sich ebenso Trailer aus der weiteren Capelight-Sparte zu Denis Villeneuves „Polytechnique“ (welcher vollständig auf der Limited Collector’s Edition enthalten ist), „The Signal“, „Scenic Route“ und „The Last Days“. Der Film liegt im Bildformat 2,35:1 vor, während der Ton mit Dolby Digital 5.1 auf Deutsch und Englisch abgemischt wurde.

Blu-ray
Die Bonusmaterialien des Blu-ray-Steelbooks sind identisch zu jenen der DVD, das Ton- und Bildformat aber natürlich nicht: So wie Villeneuve seinen Film bewusst digital mit der Arri Alexa drehte, gewinnt „Enemy“ in High Definition mit akzentuiertem 5.1 DTS-HD Master Audio und einer Auflösung von 1080p an Schärfe hinzu, weil er gewiss auch an anderweitiger Schärfe abnimmt. Das prägende Saffron im Bild führt nochmals die Undurchsichtigkeit des Komplexes auf. Es raubt Nuancen, was gewiss auch im Freien wie ein Nebel wirkt, der immerzu über der Stadt wabert. Eine Farbkorrektur, die sich der Methodik des Films annimmt, doch dies in den Schwarztönen leicht übertreibt.

Limited Collector’s Edition
Wie ein kompakter Dreiakter kommt schließlich auch das Herzstück für alle robusten Sammlerfreunde daher: das Mediabook mit bereits zuvor bemerkter DVD und Blu-ray, sowie einem 24-seitigen Booklet (welches einen höchst interessanten Absatz über die technische Herausforderung des doppelten Gyllenhaal enthält) und Villeneuves bislang in Deutschland unveröffentlichtem Drittwerk „Polytechnique“ über einen Amoklauf an der Polytechnischen Hochschule Montréal im Jahr 1989 auf einer weiteren Blu-ray. Ein Beiblatt weist noch auf die Altersfreigabe und die Inhalte der Edition hin, wohingegen das Cover des Mediabooks glücklicherweise frei davon ist.

Meinungen

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