Ein Poster von Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“ (1966) prangt an der Wand neben dem Fenster in Eleanor Rigbys Zimmer, das sie im Haus ihrer Eltern kurzfristig wieder bezieht. Ein Mann und eine Frau: Mehr benötigt auch Debütant Ned Benson in „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ nicht – weil mehr wahrscheinlich das Leben selbst nicht benötigt. Daher windet er um die dringliche Reminiszenz an die Nouvelle Vague eine Geschichte zweier Menschen, die sich finden, bis einer von ihnen verschwindet und beider Schmerz bleibt. Eine frische Welle scheint dies dennoch nie zu sein, denn Ned Bensons hierzulande erscheinender Film ist nicht jenes Produkt seiner Einzelteile, sondern eine Strategie, welche Produzent Harvey Weinstein aufspann, um zwei Perspektiven monetär und kurzatmig zu einen. Nämlich jene von ihm und jene von ihr. Him und Her. „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ ist nicht ein Film, sondern eigentlich drei. Obwohl einzig die Kompilation Them schließlich nach Deutschland kommt. Was bereits diese zeigt, ist der permanente Reiz des Abstoßens durch die milchige Linse Christopher Blauvelts, der Fall ins Nichts, die Frage und Antwort in einzelnen Tönen, in sanften Abstufungen wie ebenso hartem Ruckeln. Und die schüchterne Eindeutigkeit dessen aus der Perspektive Dritter, die von außen nach innen wandert.
Statt jedoch ein kohärentes Ganzes und somit Titel setzendes Them zu formulieren, agiert der Film aus dem Gestaltlosen heraus ins erst später Disziplinierte. So addiert Them nicht die Perspektiven von Him und Her, sondern wächst aus der Perspektive des jeweiligen Umfelds: der Eltern, Schwester, des Freundes – sogar aus dem Glas, welches ein Glühwürmchen fasst. Eleanor Rigby (Jessica Chastain) liebt Conor Ludlow (James McAvoy). Conor Ludlow liebt Eleanor Rigby. Fragil, sehnsuchtsvoll, enerviert, kindlich. Eine Liebe zwischen Zweien in ihren Dreißigern; er ein gepampertes Vatersöhnchen, der ein Restaurant führt – sie die Tochter eines College-Professors und einer französischen Künstlerin, in deren Hand immer ein Weinglas jongliert. Nach einer Sequenz jugendlicher Euphorie, in welcher sie frisch verliebt aus einem Restaurant fliehen, nachdem Conor die Rechnung nicht bezahlen kann, stürmt Benson sogleich in den Selbstmordversuch Eleanors sieben Jahre später. „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ schluckt daran, weil er nicht mühelos den Stilschwankungen ausweicht, da er dies nicht unwillkürlich möchte. Him und Her mögen durch ihre Differenzierung der Perspektiven (Him zeigt einzig jene Conors, Her jene Eleanors) ihren Spielraum erweitern, indem sie die geschlechtsspezifische Interpretation gleicher Szenen eigenständig (im Kopf des Zuschauers) verweben, während Them durch den Mangel, beide Szenen nicht gleichzeitig mittels Split Screen zu zeigen, auf eine Komponente verzichtet und somit eine Sicht ausgrenzt. Them trifft eine Entscheidung. Und obwohl jene keine grundlegende Aussage über die Qualität der Kompilation trifft, so raubt sie Benson doch der eigentlichen Originalität seines Werks.
Manchmal entstehen daher Szenen, welche die Liebe schlicht in ihrer anfänglichen Überdimensionierung fassen können; manchmal entstehen ebenso Szenen, welche aus einer seltsamen Strukturierung einen Zwischenakt artikulieren, der am Gerüst gleich beider Teile zweifeln lässt. Es wirkt wie die Ausführung des süßen Satzes, den Eleanor von ihrer Professorin für Identitätstheorie (wohlig-beißend und geradezu sensationell: Viola Davis) adaptiert: „He went soft and I stayed hard.“ Nur ist der Film häufig beides zugleich: weich und hart. Er ist so zart wie ein reifer Pfirsich und zugleich steif wie die Knochen eines alten Ehepaares. Die Farbpalette seines Films reichert Benson durch Bildgestalter Christopher Blauvelt dementsprechend in wahlweise warmen Sepia- oder entsättigten Blautönen an, abhängig davon, ob er sich eher der Perspektive Eleanors oder Conors widmet. Immer wieder rückt die Kamera dabei in die Distanz, in eine Art abgekapselten Schutzraum, der dem dann zumeist einzigen Protagonisten der Einstellung Platz gibt, diesen zu füllen. Jessica Chastain löst jenen Raum mit nervösen Aufschlägen und Subtilität; James McAvoy mit gegensätzlicher qualvoller Verzweiflung und Spielfreude. Beide lösen ihn gleichsam furios.
Doch Ned Benson interessiert die Tragödie – aus der die Trennung resultiert – in Them zunächst mehr als das Verschwinden von Eleanor, obwohl beides mit- und untereinander zu korrelieren scheint. Tatsächlich wäre „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ viel lieber eine Zwiebel, welche in drei filmischen Lagen immer mehr zum Kern dessen pulen lässt, was Liebe bedeutet. Nicht die Liebe des Moments, sondern die Liebe über die Zeit. Und wie sie schwindet: einfach so, in einem Augenblick, aus dem ein Paar vielleicht zögernd entrinnen könnte. Als der Film endet, schreitet Conor einige Meter vor Eleanor durch den New Yorker Central Park. Er bemerkt sie nicht, sie bemerkt ihn sehr wohl. Aber treffen werden sie einander wohl nicht mehr, weil sie sich einmal zu viel verpassten. So wie sich zwei Geraden wenn, dann nur einmal in ihrer Existenz schneiden und wieder voneinander weg treiben. Und so wie „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ in Him, Her und Them drei Perspektiven ausbildet, hat jede Geschichte schließlich drei Seiten. Wie wahr. Und wie schwermütig, kennt man nur eine davon.
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