Macht Disney dieses Jahr eigentlich irgendwann einmal Pause? Man möchte meinen, dass dem Monopol massentauglicher Herzlichkeit allmählich der Saft ausgehen müsste, regelmäßig Geschichten erzählen zu können, die für Kinder wie Erwachsene souveräne Sentimentalitäten aufbieten und teilweise darüber hinausgehen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, da David Lowery sich angeboten hatte, eine Neuverfilmung von „Elliot, das Schmunzelmonster“ (1977) zu inszenieren, nun unter dem Titel „Elliot, der Drache“ firmierend. Die einstige Verquickung von Real- und Trickfilm ist dabei den Mitteln der Computertechnik angepasst worden und nicht mehr auf heiter-cartoonesken Musicalpfaden unterwegs. Lowery, in der Independent-Szene zuletzt durch „Ain’t Them Bodies Saints“ aufmerksam geworden, hat den Hang zum Realismus im Blut und entwirft dennoch keine schroffe Neuinterpretation, der möglicherweise der Puls an der Fantasie fehlen würde. Jenen Kontrast legt er bereits im Intro fest, wenn der kleine Pete (Oakes Fegley) auf dem Abenteuer Familie von eben diesem entrissen und inmitten der Wälder von einer gar fantastischen Kreatur in Obhut genommen wird; oben genanntem Drachen voll grünem Fell und einem Umgang, der zwischen der Liebe eines Hundes und der einer Ersatzmutter pendelt.
Nach „The Jungle Book“ und „BFG: Big Friendly Giant“ ist nicht zu vermeiden, dass man vieles vom Disney-Kalkül wiedererkennt. Das Narrativ zeichnet sich ohnehin durch manch dramaturgische Plumpheit aus, die wenig an der Grundstimmung des Films rüttelt, aber optimierungsfähig erscheint, wenn man sieht, wie Lowery mit audiovisuellen Mitteln ein Arsenal an Gefühlen vermitteln kann. Die Zeichen werden jedoch klar gesetzt: Geborgenheit, Freiheit und Freundschaft kommen innerhalb einer Natur zustande, die einem Kind Halt erweist, indem sie diesem eine Magie direkt aus dem Kino zur Seite stellt. Gleichsam ist der bittere Verlust weiterhin zu spüren, dem sich das Duo aus Mensch und Drache bis zur Unsichtbarkeit zu verstecken versucht. Nicht nur durch solche Scheuklappen verinnerlicht Lowery eine Charakternähe, bei der er als Koautor simultan an Katharsis und Schmerz teilhaben lässt und natürlich auf die Unmöglichkeit der Situation und die Notwendigkeit der Linderung verweist, ohne zynische Funktionalitäten anzuwenden.
Das in Neuseeland gedrehte Americana gibt dafür die notwendige Kombination aus Bodenständigkeit und Naturzauber her, bald lassen sich zudem weitere Charaktere im Kleinstadtformat etablieren, die allmählich auf Pete stoßen. Nicht gerade als totaler Antagonist gezeichnet, aber für erhebliche Konflikte sorgend, macht sich Gavin (Karl Urban) ans Abholzen und gerät mehrmals in Streitigkeiten mit seinem Bruder Jack (Wes Bentley). Die schwere Beziehung zwischen den Beiden nimmt man allerdings leider nicht ab, dessen Reibung in Sachen dreidimensionaler Gewichtung steht auf kurzen, gar redundanten Beinen. Weit stärker ausgeprägt ist hingegen der mütterliche Instinkt der gutmütigen Sheriffsdame Grace (Bryce Dallas Howard), die ihrem Namen gemäß die Güte schlechthin an den Tag legt und ihren Forst wie ein Familienmitglied schützt. Das frühe Ableben der eigenen Mutter (Disney und die toten Eltern!) hat genauso dazu beigetragen wie die Geschichten ihres Vaters (Robert Redford), der seine Begegnung mit dem Drachen als Märchen an die einheimischen Kinder richtet. Bei Disney steckt aber wie gehabt mehr als ein Funken Wahrheit dahinter, wenn emotionale Entlastung auf den Schultern des Eskapismus ausgetragen werden kann.
In diesem Kontext wird jener Weg aber nicht bloß der Schlüssel zu einer Ersatzfamilie („Arlo & Spot“), sondern zur Menschlichkeit und Liebe, die mindestens so unbedingt wie Elliot auf die Belange und Sorgen um ihren Schützling eingehen. Lowerys Ton in der Rückführung Petes zum Alltag entbehrt greller Melodramatik oder verharmlosender Komik, schaut so authentisch wie möglich auf eine Ausnahmesituation, die Traumata und Ängste eines Kindes ernst nimmt und mit Vorsicht zu erforschen versucht. Der Vergleich mit Lenny Abrahamsons „Raum“ kommt nicht von ungefähr, auch wenn Lowery dessen Psychologie einigermaßen (wohlgemerkt effektiv) romantisiert, die Wahrhaftigkeit zur Hilfsbereitschaft aber nicht marginalisiert. In diesem Fall ist das Handwerk kein bahnbrechendes, doch entgegen allen wissentlichen Bedingungen stimmt die Chemie im Angesicht eines Waisenkindes, das sich in kleinen Schritten bemüht, Kommunikation und Sozialisierung unter Menschen wiederzufinden, während es verzweifelt an den Fittichen von Elliot hängt.
Das Handlungskonstrukt bringt sodann ein Dilemma hervor, obwohl Lowerys Führung weiterhin die Erdung seiner Figuren durchzusetzen versucht, ihre Motivationen entschieden auf den Punkt bringt, mit der Selbstverständlichkeit kindlicher Naivität und Empathie bekräftigt. Ihm entgegen steht jedoch ein Schnitt, der im Grunde auf Routine montiert ist und wahrscheinlich auf den hohen SFX-Einsatz zurückzuführen ist, der weniger Freiraum zulässt, um zumindest eine konzentrierte Ladung Feuer auszupacken. Es hilft auch nicht, wenn Steven Spielbergs „E.T. – Der Außerirdische“ hier in mehr als nur einer Hinsicht Pate steht und als Hommage vielleicht sogar „Super 8“ den Rang abzulaufen versucht. Was erwartet man anderes von Disney? Viel wichtiger aber: Warum will man derartige Geschichten der Einigkeit und Hoffnung in diesen Tagen erwarten? David Lowerys Film stellt in jedem Fall wieder eines der stärkeren Beispiele einer unbesiegbaren Erfolgsformel dar, indem er deren zentrale Werte zum Märchen menschlicher Grundbedürfnisse reifen lässt.
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