Paris, 1966: Während ein Geistlicher hoch über der Stadt ein Buch über „Boobies“ liest, wendet sich der Pöbel auf den niederen Straßen Victor Hugos „Les Misérables“ und einer Flasche Cognac zu. Derweil stiert ein Präparator an die Wand seines Ladens, wo sich konservierte Fratze an konservierte Fratze reiht. Und er stiert und stiert. Der Präparator, er heißt Ernie und trägt seinen Mangel zur Schau. Denn Ernie wäre taub, würden nicht Drähte aus seinen Ohren wachsen und ihm Laute zuflüstern, die er sonst nicht hören könnte. Aber alles halb so wild. Denn wenn noch Platz für die Outsider, die Ausgestoßenen und Flüchtigen auf diesem Planeten ist, dann in den Clayografien von Adam Elliot, die aus Liebe, Ton, Plastilin und einer Pulle Weirdness von Menschen erzählen, über die ansonsten weder in der Welt noch im Film erzählt wird. Wie Ernie leben sie mit Handicap, Asperger, haben Ticks, Tacks und verdrehte Glieder, sind blind, schwerhörig oder einfach nur: seltsam. Auch dieser Titel gebende „Ernie Biscuit“ ist ein obskurer Kauz, dem Elliot zwanzig Minuten schenkt. Wer sonst würde sich schließlich für ihn interessieren?
Der Beruf des Präparators ist dabei ein Altbekannter aus Elliots einziger Clayografie in Spielfilmlänge, der eigenartigen, fernen Romanze „Mary & Max“. Denn der Vater Marys widmet sich in seiner Freizeit der Taxidermie von Vögeln – er stopft aus, was nicht mehr lebt, aber zumindest nicht gänzlich aus der Welt scheiden soll. Wenn jemand jedoch langsam aus der Welt scheiden will, kann er auch leben wie Ernie. Nur hat Ernie noch einen letzten Plan, der ihm Glück bringen soll. Nach Venedig soll es nämlich gehen, mit Édith Piaf, seiner gefiederten Freundin seiner letzten, nun toten menschlichen Flamme. Aber Adam Elliot ist Australier, also geht es zwangsweise nach Australien. So stranden Ernie und Édith dort, suchen eine Bleibe, finden zunächst keine und treffen nach einer Nacht auf der Straße einen eigentümlichen Kerl, der ihnen eine anbietet. Wie es bei Elliot immer vorwärts geht, geht es auch in „Ernie Biscuit“ vorwärts: mit Widerstand, doch beständig. Die Liebe kommt natürlich dazu, wie es sein muss im konventionellen, schrägen sechsten Werk der Trilogie der Trilogien. Daher findet der taube Ernie eine blinde Genossin, mit der er sich in Morsezeichen und Brailleschrift verständigt. Das Leben ist simpel, nicht wahr?
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