„Frantz“ – ein Konglomerat von FrançoisOzon-Themen. Trauer zum Beispiel. Aber diese Trauer hält lange an, durch die Geschichten und Zeiten hindurch. „Frantz“ ist ein Weltkriegsmelodram der geografischen Trauer, weil sie Ozon akustisch und räumlich prononciert. Am Anfang sehen und hören wir es, das Mädchen (Paula Beer), das ihren Verlobten (Anton von Lucke) im Krieg verloren hat. Die sich im Kreis desillusionierend vorwärtsbewegenden, fahrigen Schrittes klappernden Geräusche ihrer Absatzschuhe zum Friedhof gehören zu einem gebrochenen Menschen. Später jedoch, als sich Anna (Beer) aufmacht, den innigen Freund (Pierre Niney) ihres Geliebten in Frankreich zu suchen, stirbt jäh die Trauer, stirbt der Rhythmus ihrer Klänge. Denn der Aktionsradius jener Handlungen vergrößert sich, die Anna anstrebt, um von einer bäuerlichen Provinz zu einer flirrenden Stadt zu gelangen. Sie stöckelt nicht mehr auf gleichen Bahnen, sondern ihre Bewegungen werden vertikaler, die Absatzgeräusche entdeckungslustiger, energischer, euphorischer. Ozon hat in „Frantz“ patente Metaphern gefunden, eine stille Verzweiflung auszudrücken, die während einer symmetrischen Gespaltenheit zweier Kriegsnationen im provisorischen Frieden doppelt aufbricht.

1919 spielt „Frantz“, fühlbar sind die Ressentiments der Nachkriegszeit zwischen den Nationalismen der Ablehnung. In dieser Zeit erzählt Ozon eine gründlich verdichtete (vergleiche Michael Haneke) Lügenkolportage über, wie in „In ihrem Haus“, mehrere angewinkelte Erzählschichten. Erforscht der Regisseur nach eigenem Bekunden dabei die Spuren Éric Rohmers, immer schon einmal einen Film über das Lügen umzusetzen, erreicht er in der unbeständigen Halbwertszeit von Trübsinnigkeit und Glück mit Hilfe eines ambivalenten Farbkonzepts gleichzeitig dauerhafte Intensität: schwarzweiß für die Episoden familiärer Vergletscherung, Farbe für das Abschmelzen dieser. Wenn Adrien (Niney), ein junger kriegsnarbenübersäter Franzose, von der (Schein-)Vergangenheit zu berichten versucht, in der er Frantz (von Lucke) kennenlernte, rahmt Ozon diese wahrhaft farbenreichen Aufopferungssitzungen zur romantischen, homoerotischen Fantasie eines ehemaligen Soldaten, der das vernebelnde Gift seines Herzensbruders braucht, in Wahrheit aber um Vergebung unter dem Selbstschutz der Geschichte bittet, die einer unentwegten Veränderbarkeit zum Opfer fällt. „Frantz“ braucht das psychologische (Bergman-)Bohren, damit sich die Erzählung verästeln kann.

Ozon gestand, sich Inspiration bei Caspar David Friedrichs Landschaftsmalereien geholt zu haben, und tatsächlich sind die Naturimpressionen von charmanter, optimistischer Lieblichkeit, sobald sich Anna und Adrien im Sog eines gespiegelten Verhältnisses zu Frantz einander gewöhnen, ohne den letzten Schritt zu wagen. Auf Spiegelungen gründet ohnehin Ozons latent erotischer, ja manchmal beinah entflammter Film, auf zwei Hymnen mit Symbolcharakter, zwei Söhnen (darunter ein Ersatzsohn), zwei Dimensionen der Liebe, der ersehnten und der erzwungenen, und zwei kongruenten Situationen notdürftig herbeigeführter Missverständnisse, die die Gegenwart ebenso beflügeln wie deformieren. „Frantz“ erarbeitet sich hierbei die menschlichen Geheimcodes seiner authentisch-teutonischen Darsteller (allen voran Ernst Stötzner), von denen besonders Anna in der Kunst Seelenheil erfährt. Vor einem Gemälde von Manet, das einen wundersam verrenkten Selbstmörder zeigt, befreit sie sich von jenen zwei Dimensionen der Liebe, indem sie sich einer weiteren Lüge, der Lüge des Gemalten, hingibt, um als emanzipierte Frau hervorzugehen. „Frantz“ spielt ein doppeltes Spiel, das Spiel eines Toten, gipfelnd in der Geburt einer Lebenden.

Meinungen

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