Schlaf dient im Allgemeinen der Erholung, so dass es eher unvorteilhaft ist, vor dem Schlafen Angst zu haben. So ergeht es jedoch der Protagonistin Christine in Rowan Joffes viertem Spielfilm und Psychothriller „Ich darf nicht schlafen“, der eine recht detailgetreue Adaption des 2011 veröffentlichten Romans von Steve J. Watson ist. Rowan Joffes ist der Sohn von „The Mission“-Regisseur Roland Joffe, arbeitete aber bereits auch als Drehbuchautor. Von ihm stammen unter anderem die Vorlagen zu „28 Weeks Later“ und Anton Corbijns „The American“. Im Wesentlichen geht es hier um eine unter Amnesie leidende Frau, die stets über Nacht im Schlaf alles vergisst, was sie am Tag zuvor erlebt hat. Lediglich Ereignisse vor dem Unfall, der zur Schädigung des Gehirns führte, sind ihr noch präsent. Somit befindet sich die fast Vierzigjährige täglich im Zustand einer etwa Zwanzigjährigen. Ihr Problem ist es vor allem, nicht zu schlafen, um nicht zu vergessen, und nicht, wie der Titel irreführend andeutet, nicht schlafen zu können, weil sie es nicht kann.

Das neurologische Phänomen des Vergessens bildet nun die Grundlage des Films. Christine erkennt den Ehemann nicht, weiß nicht, was sie früher getan hat, was sie gerne isst. Wirklich ins Grübeln kommt sie jedoch erst, als sie einen Anruf ihres Psychologen entgegen nimmt. Jeden Morgen ruft der Mann sie an und gibt vor, mit ihr an der Wiederherstellung ihres Gedächtnisses zu arbeiten. Dafür lässt er sie per Kamera ein Tagebuch führen. Dieses, sowie auch ihre Zusammenarbeit mit ihm, soll sie jedoch unbedingt vor ihrem Mann verbergen. Trotz der starken Einschränkungen, die Christines Gesundheitszustand mit sich bringen, ist sie jedoch erstaunlich pfiffig und beginnt recht schnell vieles zu hinterfragen und insbesondere ihren Ehemann Ben, aber auch ihren Arzt infrage zu stellen. Das stetig anwachsende Misstrauen gegenüber Ben und einige Erinnerungsstücke, die ihr im Traum erscheinen, versucht sie mit großer Ausdauer zu einem Ganzen zusammen zu führen. So fügt sich auch für den Zuschauer langsam alles zu einem Bild, wobei jedoch mit einigen überraschenden Wendungen im Plot gerechnet werden muss.

„Ich darf nicht schlafen“ ist auf den ersten Blick kein großer Wurf. Nur allzu bekannt und wenig spannend scheint die Handlung, die man schon öfters zu sehen gehaben glaubt. Es ist vor allem die starke darstellerische Leistung von Nicole Kidman, die den Reiz ausmacht, aber auch die durch Colin Firth verkörperte Rolle des Ben, bei der er einmal wunderbar gegen das Bild seiner sonstigen Figuren besetzt wurde. Atmosphärisch sehr dicht holpert es des Öfteren einmal im Erzählfluss. Es gibt einiges an ungeklärten Fragen und kleinere Logikfehler, über die man allerdings hinweg schauen mag. Etwas störend ist das reißerische Thriller-Element, welches zum Ende des Films das Drama fast zu überlagern scheint. Alles in allem kann Joffes Umsetzung über weite Teile jedoch die Spannung halten und lebt vor allem durch seine sehr eindringlich agierenden Darsteller.

Meinungen

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