Vermutet man aufgrund des Titels „James White“ ein intensives Porträt jener Figur, stellt man schnell fest, dass seine Zentralität ein Fluch für sich selbst ist. Regisseur und Autor Josh Mond baut ihn nie auf, sondern schlägt ihn zusammen. Die Kamera ist stets nah an den Poren, im Bild zittrig und wie in einer Pissrinne von allen Farben abgestrahlt. Vorteilhaft ist diese Optik nicht, realistisch vor allem in dem Gemütszustand, den der Film mit aller Betroffenheit veräußerlicht: Konsequent führt es White in Bildern eines ziellosen Nachtlebens zur Beerdigung seines Vaters. Nervös und streitlaunig zugleich schwitzt er die Überforderung aus, während sich der Zuschauer mit am Boden wähnt, ohne die Umstände in einem fühlbaren Kontext jenseits des Abgeflauten zu erleben. Obendrein laufen Tränen, Streit, Taktlosigkeiten und Prügel vom Band des herzlich dysfunktionalen Lebensverlorenen ab. Von den Darstellern und dem Dialog wird alles mit einem (scheinbaren) Minimum Konstruktion ausgelöst, was durchaus Wahrhaftigkeit motivieren könnte, würde der Stil nicht seinen Voyeurismus mit Charakternähe verwechseln. Zwischendurch geht es für White aber zumindest an den ebenso entsättigten Strand, wo ein Wink der Erquickung mit Jayne (Makenzie Leigh) erlebt wird, der dem Film einen Moment unvorbereiteten Naturalismus spendiert.
Er entpuppt sich allerdings als Vorspiel zu einem Umstand des Schicksals, den niemand erleben will, aber vom Medium gerne in ein nachvollziehbares Verhältnis gesetzt werden soll: der Krebs, erneut in James’ Mutter Gail (Cynthia Nixon) heranwachsend. Nun versucht Mond nicht, die Krankheit im Zuge einer filmischen Lebenshilfe mit Zuckerglasur aufzutischen. Er zeigt sogar offen, was passiert, und dass die Reaktion auf solche Zustände Mitmenschen zerbricht. Es ist aber keine minder problematische Angelegenheit, wenn dermaßen darauf gehalten wird, dass allein permanenter Zerfall und Leiden im Mittelpunkt stehen, bis man sich in einer Krankheitspornografie fühlt. In dieser Extremsituation und -stilisierung werden die Charaktere obsolet, permanent als Pflegefälle zur Verzweiflung gezwungen. Als Zuschauer fühlt man sich teilnahmslos, oder schlimmer noch: wie ein ungebetener Gast, der einer fremden Familie beiwohnt, die eines ihrer Mitglieder sterben sieht. Jene Darstellung kann man mutig nennen, als direkten Draht zur Konfrontation mit Tod und Verderben im Medium Film. Bei allem Bezug zur seelischen Reportage verhindert „James White“ es aber, dass die Tragweite dieser Lage, ob nun in den Charakteren oder sich selbst, resonant erfasst werden kann.
Was Josh Mond von seinen Charakteren erzählt, ist nur eine behauptete Tiefe, aus beliebten Stichpunkten urbaner Moderne (der schwarze homosexuelle Freund, der jüdische Vater, die asiatische Stiefmutter) zu einer Existenz des bloßen Leidens konzentriert, bei der jede versuchte Schlagfertigkeit im Halse stecken bleibt. Womöglich liegt dies am fehlenden Kontrast. Die einseitige Präsentation vom Innen- und Außenleben Whites sowie seiner Mitmenschen lässt jedenfalls nur wenige Deutungen zu, die über die Beschissenheit der Dinge und der Vergänglichkeit der Hoffnung hinausgehen, bei denen jeder auf sich allein gestellt sein muss. Dies bietet eine beachtliche Konsequenz, und entgegen der nihilistischen Tendenz die Selbstverständlichkeit von Freundschaft und Mutter-Sohn-Liebe in schwierigen Zeiten. Doch „James White“ kommt nicht umhin, die schwierigen Zeiten im Verhältnis zu den guten per Überzahl in Bild, Ton und Inhalt siegen zu lassen. Ist das ehrlich, im wahren Leben auch alles hoffnungslos kaputt – oder übt sich der Film in reinem Pessimismus? Wie auch immer man an „James White“ herangehen will: Schön wird es nicht. Oder eben der Gewinner des Publikumspreises des Sundance Film Festival.
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