Welches Kind der Neunziger erinnert sich nicht gerne an Steven Spielbergs „Jurassic Park“ und dessen Vision eines Zusammenlebens von Menschen und längst ausgestorbenen Urzeittieren? Und wer erinnert sich gerne an die Fortsetzungen? Na schön. Zumindest stellt es ein Wagnis dar, sich nochmals in das Gefühl des kindischen Wunders hinein zu steigern und den Zauber des originalen und auf Michael Crichton basierenden Dino-Terrors zu rekreieren. Deshalb geht Regisseur Colin Trevorrow bei Film Nummer vier auf Nummer sicher: Gekonnt baut er zunächst die Erwartungshaltung zweier Jungs auf – Gray und sein großer Bruder Zach –, die sodann im Dinosaurier-Freizeitpark „Jurassic World“ ihr Glück entfaltet. Die Kamera verfolgt noch klassisch die atemberaubenden Eindrücke, während die ikonenhaften Töne John Williams’ anschwellen – ehe jene Anlage auf der Insel Isar Nublar entpackt wird und eine Rückkehr zu alter Form verspricht. Mit groß prangenden Schriften locken die Attraktionen zu brütender Sommerhitze, weshalb vor allem Zachs kleines Bruderherz große Augen macht und nicht zu quasseln aufhört.

Manche Dinos lassen sich dabei sogar streicheln! Doch jenseits der Zuschauerfreundlichkeit lauert das Grauen im genmanipulierten Indominus Rex, der beinahe alle Qualitäten der Sauriergattung beinhaltet und durch eine schlaue Täuschung aus seinem Gehege entkommen kann. Nun liegt es am total tollen Tierverhaltensforscher Owen Grady (Chris Pratt), das Biest wieder einzufangen, da er nicht nur Velociraptoren zur Jagd abgerichtet hat, sondern auch smarte Westen wie auch Waffen tragen kann und als Experte keine Möglichkeit auslässt, den passenden One-Liner parat zu haben. Pratt ist als heldenhafter Macho die passende Projektionsfläche für ein Männlichkeitsideal, dem sich jeder Kindskopf der Zielgruppe anvertrauen möchte. Bezeichnenderweise tun das Gray und Zach irgendwann auf Anhieb, während deren Workaholic-Tante Claire (Bryce Dallas Howard), in etwa die Leiterin des Parks, oft nur hübsch und ratlos dastehen oder weglaufen kann. In dieser Jurassic World sind eben selbst die Rollenmodelle so alt wie die Steinzeit und als konsequentes Jungskino konzipiert, bei dem Pratt wortwörtlich zum Alpha-Männchen wird und im Dickicht des Dschungels alle eskapistischen Hormone hochkochen lässt.

Passend dazu gesellen sich scharfe Knarren und rasende Vehikel unter der Leitung der Firma InGen, deren skrupelloser Sicherheitschef Hoskins (Vincent D’Onofrio) eine profitable Chance im Schrecken sieht. Das Böse hat hier nur wenige Facetten, wie auch die Logik hinter der Geschichte eher dem Spaß als der Spannung eines Crichton-Technohorrors verpflichtet ist. Hat man das einmal akzeptiert, kann man einige verballhornende Qualitäten im Überdruss der Männlichkeit finden, während der charakter- und handlungstechnische Aufbau direkt zur Sache geht und in der Kombination mehrerer Action verheißender Schauplätze glänzend bei Laune hält. Hierin kommt eine elegante Eskalation zustande, die neben dem erneuten Zusammenbruch des Verhältnisses zwischen Mensch und Urvieh noch einen Fortschritt in Regionen des ausgelassenen Stumpfsinns wagt. Die enthemmende Haltung, die daraus entsteht, siedelt das Franchise in der Grenzenlosigkeit trivialer Unterhaltung an und schafft beglückendes Unterhaltungskino, an dem sich kleine wie große Machos ausleben können.

Dieser Fortschritt gewinnt, wie es Owen Grady anfangs mit böser Vorahnung ankündigte, doch gerade darin opfert man trotz deutlicher Ehrerbietung ans Vergangene einige Qualitäten, die wohl auch heute noch ihrer Zeit voraus bleiben. Spielberg schaffte Suspense, indem er die Menschen ans Ende der Nahrungskette stellte und es daher gar nicht nötig hatte, seine Charaktere als wandelnde Klischees auftreten zu lassen, da die bloße Ankündigung der Saurier-Übermächte schon Angst in die Gesichter aufstiegen ließ. Regisseur Trevorrow hingegen kommt mit Ach und Krach zum Punkt, türmt per CGI gleich mehrere Massen an Sauriern oben drauf und lässt seine Reißbrettfiguren präzise wie dämliche Manöver zum Vorantreiben des Plots durchziehen. Das hat gewiss seinen eigenen Charme und lässt sich sogar vom Geist von einst letztendlich aus Respekt die Show stehlen. Doch als Weiterentwicklung kann man das nicht bezeichnen – eher als bestmöglichste Variante unter modernen Umständen und Dialogen der Marke: „Weißt du noch, als wir …?

Wohl deshalb hat ausgerechnet jene Sequenz die höchste emotionale Resonanz, in der Owen Grady die letzten Sekunden eines sterbenden Dinosauriers miterlebt, welcher kein Computerwesen, sondern noch ein waschechter Animatronic ist – so wie damals der Großteil der reptilischen Spezialeffekte. Dass diese merklich echte und immens fühlbare Technik im Zuge unserer Zeit abhandengekommen ist und hier noch derartig rührselig zu Grabe getragen wird, lässt zumindest hoffen, dass deren Zauber nicht gänzlich vergessen wird. Schließlich macht es unter Dinosauriern offenbar noch immer Spaß, auch wenn sich zeigt, dass der Mensch sie niemals kontrollieren wird. Darum stellt sich nicht nur die Filmhandlung, sondern auch der Zuschauer selbst dem (formelhaften) Film gegenüber die Frage: Warum noch immer weitergehen und Kontrolle dem Fortschritt zuliebe forcieren? Zur Begeisterung ist es jedenfalls nicht nötig.

Meinungen

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