Asghar Farhadis heiß erwarteter, neuer Spielfilm „Le Passé – Das Vergangene“ handelt von den massiven Konflikten einer Familie, die durch die verschiedensten Hintergründe der Involvierten geprägt ist. Der Iraner, der mit seinem Vorgängerwerk „Nader und Simin – Eine Trennung“ einen der meistgelobten und -ausgezeichneten Filme aus Vorderasien erschuf (unter anderem den Oscar für den „Besten fremdsprachigen Film“ und drei Bären bei der Berlinale), beweist sein Ausnahmetalent ein weiteres Mal.

Das subtile Drama beschäftigt sich mehr mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart, die einzelnen Schicksale werden miteinander verwoben und aus allen möglichen Blickwinkeln dargestellt. Bérénice Bejo spielt sicherlich bemerkenswert gut (sie gewann bei den Internationen Filmspielen von Cannes den Preis für die „Beste Hauptdarstellerin“, Prix d’interprétation féminine), doch der eigentliche Star des Films ist Ali Mosaffa, der mit einer der eindrucksvollsten Performances der letzten Jahre brilliert. Seine iranische Figur Ahmed ist modern und Repräsentant für eine gegenwärtige, männliche Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung, der Internationalisierung, der Kulturenmultiplikation. Er wird gleichzeitig von seiner französischen (Noch-)Ehefrau gebraucht als auch verstoßen, er ist inmitten von Konflikten gefangen, die meist ihren Ursprung in der irreversiblen Vergangenheit haben und deren Lösungen schier unmöglich scheinen. Gleichzeitig kann man das parallel zum Nahostkonflikt sehen, auch wenn „Le Passé“ keinen direkten Bezug zu dieser Problematik herstellt.

Farhadi betonte in einer Gesprächsrunde, dass er keine Helden in seinen Geschichten beleuchten und auch auf ein schwarz-weißes Gut und Böse verzichten will. Er will Geschichten von guten und guten Menschen erzählen und die Probleme dieser in den Fokus nehmen. In „Le Passé“ kollidieren Momentaufnahmen aus einer Geschichte urteilslos miteinander. Daher ist Ahmed eben nur in diesen Momenten der Erzählung der Held, doch seine eigene Vergangenheit in Bezug auf den Konflikt ist wahrscheinlich gleichzeitig genauso schlecht, wie sein jetziges Verhalten gut ist, und vielleicht ist seine positive Veränderung eben nur die Auswirkung seiner Reue. Das klingt sehr kompliziert, ist aber gerade deswegen so subtil und vielschichtig. Die Spannung, die hierbei erzeugt wird, ist phänomenal. Die unglaublich authentische und faszinierende Art der Inszenierung ist ohne Frage meisterlich und Asghar Farhadi schon jetzt einer der besten Regisseure unserer Zeit.

Ganz selten wurde man so gefesselt von derart minimalistischen Mitteln. Die schauspielerischen Leistungen sind ohne Ausnahme perfekt und das ausgewogene Drehbuch fabelhaft. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es alle Agierenden gleichbehandelt, ohne aber ein Episodenfilm zu sein. Farhadi sagt, im Iran sei eine Verdrängung von Problemen und der Verleugnung schmerzender Wahrheit Teil der Kultur. Dies ist der Ursprung für sein modernes Meisterwerk. Probleme werden weggeschoben und neue, zerbrechlichere Ebenen geschaffen, auf denen die Menschen auf Fußspitzen gehend versuchen, eben jene Konflikte zu überdecken und nicht einzubrechen.

Doch von was handeln diese Konflikte nun eigentlich? Ahmed kommt zurück nach Frankreich, um die Scheidung zu unterzeichnen. Doch die Kinder seiner schwangeren Frau mögen und brauchen ihn mehr, als den neuen, arabischen Freund der Mutter, der ebenfalls ein Kind hat und dessen Ehefrau im Koma liegt. Des Weiteren gibt es eine Menge an Menschen, die sich im Umfeld befinden und dennoch einen erheblichen Einfluss bewirken. Jeder kleine Konflikt innerhalb des Beziehungsgeflechts erschafft eine neue Betrachtungsweise, die oft erklärend, aber auch widersprüchlich erscheint. Selbst den Zuschauer bedrückt das Gefangensein der gesamten Familie in dieser Tragödie, die aber niemals die Hoffnung vergisst.
Daher handelt es sich um ein ungeheuer menschliches und emotionales Werk, das die wirklich relevanten Gefühle unseres Daseins unterstreicht. Die Kraft, trotz erdrückender Misere zu überleben; die Fähigkeit, trotz aller Missverständnisse die Ruhe zu bewahren; und der Wunsch, die angesprochene Hoffnung siegen zu lassen, ist der elementare Kern des Films und die Intention von Farhadi. Das ist Kino in seiner besten Form und es ist absolut wichtig, dass ein Regisseur wie Farhadi die wüste Landschaft heutiger Dramen mit seiner Lebendigkeit bewässert.

Meinungen

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