Rammeln zu Rammstein und Bach, und leise rieselt der Schnee. Aber was wird tatsächlich übrig bleiben von Lars von Triers zweigeteiltem Lust- und Frustdrama? Die Inszenierungsschlenker? Die Inszenierungstabus? Die Entdeckung einer Befreiung, gedrosselt auf philosophisches Konfetti und besserwisserisches Nebenkommentieren? All das versteckte sich in „Nymphomaniac 1“. Leicht zu goutieren war dieser erster Abschnitt einer für ein weltliches Arthouse-Publikum aufgewärmten Seelenreise komplexer Weiblichkeit, ausgestellt verspielt, sexy, liebreizend, ein Gemenge an fragmentierten Einzelgeschichten, die Genre für Genre abdeckten. Lars von Trier wühlte darin, es machte ihm Spaß, lakonisch und symphonisch Menschen zu filmen, die ekstatische Befriedigung erlangen wollen. Ein Überbleibsel dieser Anekdoten, mit ausgeleiertem Grinsen ließen sie sich angeheitert wegschauen, ist in „Nymphonamiac 2“ nur noch abgeschwächt vorhanden. Wo „Nymphomaniac 1“ Vollmilchschokolade und Eierlikör war, ist „Nymphomaniac 2“ Bitterschokolade und hochprozentig. Der erste Teil, ein Jux. Der zweite, ein Magenhieb. Licht und Dunkel.
Insofern ergibt die strikte Zweiteilung Sinn. Nach einem flotten Einstieg in vergleichsweise mittelschweren Blümchensex („Nymphomaniac 1“) beginnt „Nymphomaniac 2“ schwermütig den Zerfall zu zeigen, wenn eine zunächst zwanglos fabulierte Lebensgeschichte ihre Finsternis offenlegt. Jetzt ist daraus ein Manifest über gesellschaftlich geächtete Sexualität geworden: über Sadomasochismus, Homosexualität und Pädophilie. In schweren, ausgetrockneten Bildern konterkariert von Trier das Stimmungsbild des ersten Teils. Auf dem Höhepunkt des Glücks setzt er einen Schnitt. Die Gunst des Schicksals verstummt. Joes (jetzt dauerpräsent: Charlotte Gainsbourg) intimer Erlebnisbericht stoppt dort, wo sich gleichzeitig ihre größte Angst manifestiert: beim Orgasmus und seiner Energie, die keine Sättigung mehr freisetzt. Um ihn, den Moment tiefster Lust, zu reaktivieren, nimmt sie im wahrsten Sinne des Wortes die Peitsche in Kauf. Hier ist „Nymphomaniac 2“ entschieden mehr Lars von Trier, mehr Verweis auf das Schaffen eines Auteurs sperriger Emanzipationsdichtungen. Mehr ungefilterte Schönheit und einnehmende Hässlichkeit.
Da von Trier, anders als im Vorgänger, der fünf Kapitel abdeckte, die Laufzeit mit drei langen Kapiteln füllt und schließlich beendet, verlängert sich des Films Erzählatem automatisch. „Nymphomaniac 2“ löst sich dementsprechend von aller bildungsbürgerlichen Leichtigkeit und schildert kontemplativer, teils in menschenfeindlichen Interieurs (das „Büro“ des auf Folterpenetration spezialisierten K), die Hin- und Hergerissenheit zwischen Liebe und Verlangen. Im Vordergrund beherrscht Joe den Film, ihr Schmerz, ihre Lebensreife, ihren von Freund Jerôme (Shia LaBeouf) empfohlenen Ausweg, sexuelle Erfüllung im auf beiderseitigem Einverständnis fußenden Seitensprung zu finden. Hier wirkt Joe wie Bess aus „Breaking the Waves“: Überleben durch eine gewalttätig an sich reißende Wollust, die für kurze Zeit andauert, danach abflacht und ein Gefühl der Abkapselung und Vereinsamung hinterlässt. Je nachdem, welches Martyrium Joe durchlebt und in welche verklärende Moral sie sich hineinsteigert – auch „Nymphomaniac 2“ gesellt sich trotz aller Widrigkeiten zu Lars von Triers feministischen Filmen, deren Geschlechtsabhängigkeit jeglichen Groschenvoyeurismus negiert. Der Sex ist roh, aber rein und sinnlich.
Wie von Trier generell seinen Frauenfiguren respekt- und verständnisvoll begegnet, das ist herzerweichend und unübersehbarer denn je. Zum Beispiel in Joes beruflicher wie persönlicher Beziehung zu P, einer minderjährigen Basketballspielerin und ausgewiesenes Mobbingopfer. In sanfter Körperpoesie erforschen beide das Zentrum unverstellter Nacktheit, nervös, aber leidenschaftlich, eine Synästhesie des Tastens. Bevor der Film in eine hauchdünne „Bonnie und Clyde“-Variation kippt, denn auch das ist „Nymphomaniac 2“ abseits davon, Läuterung in der Zerstörung zu erfahren: ein uneindeutiger Zwitter, einerseits ein makabrer Gag, andererseits ein lautes Meinungsforum. Ein Gag, weil lange nicht mehr missglückter Gruppensex (zwei erigierte Penisse umranden hierbei die Einstellung mit der Frau, dem Objekt der Begierde, in der Mitte) so merkwürdig, aber auch so vergnüglich war, wohingegen von Trier den Prolog aus „Antichrist“ an einer anderen Stelle spiegelt, aber optimistischer auflöst. Die Pointe bewahrt sich von Trier gelegentlich, aber ihre Aufforderung zum Schmunzeln erlischt schnell(er).
Und ein lautes Meinungsforum, weil der Autorenfilmer nicht per se herausarbeitet, warum Joe kein schlechter Mensch ist, sondern warum Sexualität in Gänze, und dazu zählt ihre heuchlerische Doppelmoral sowie ihre guten und, vor allem, schlechten Facetten, frei gelebt oder zumindest einmal überprüft werden sollten. Das muss man mögen. „Nymphomaniac 2“ ist der in seinem Mitteilungsbedürfnis deutlich plakativere der beiden unzertrennlichen Filme, ein Wutschrei eines unverstandenen Künstlers gegen die Vorurteile einer Kleingeistigkeit. Lars von Triers Werke waren allerdings nie dazu da, dem Zuschauer etwas hinzuwerfen, das der Norm entspricht, den Allgemeinplätzen und harmlosen Antworten. Vielmehr waren sie verarbeitungsgeprägte Suchen nach, richtig, Joes Seelenbaum. „Nymphomaniac“ setzt dafür einen beeindruckenden Kulminationspunkt überschlagender Gefühle, denen man vertrauen sollte. Was von „Nymphomaniac“ also übrig bleibt? Die Freiheit der Frau und ihrer Vagina. Die Normalität des Triebs. Das Ende aller Scham.
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Eine wirklich ausgezeichnete Kritik von dir! (: