Lennart Ruffs „Nocebo“ läuft kurz vor der Oscar-Nacht erstmals am Samstag, den 21. Februar 2015, um 22:30 Uhr im Bayerischen Fernsehen.
Alles begann im Juni 2014. Der Regisseur Lennart Ruff gewann mit seinem Psychothriller „Nocebo“ in Los Angeles den Studenten-Oscar. Seither zieht er mit seinem Kurzfilm erfolgreich von Festival zu Festival. „Natürlich tun sich da jetzt Möglichkeiten auf“, sagte er in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. „Nocebo“ war der Abschlussfilm seines Regiestudiums an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Jetzt strahlt der BR, der den Film gemeinsam mit Arte koproduzierte, ihn erstmals im deutschen Fernsehen aus. Als kleines Schmankerl vor der Oscar-Verleihung in der Nacht zu Montag reiht sich „Nocebo“ neben anderen prämierten Filmen an diesem Abend ein – und das zu Recht.
Der Film ist eine wunderbare Kreuzung aus Krimi und Liebesgeschichte, Verschwörungstheorie und Kritik an den mächtigen Pharmakonzernen. Er begleitet den paranoiden Christian, gespielt von Vincent Redetzki, bei seiner Flucht: Zusammen mit seiner Freundin Anna (Odine Johne) hat er an einer Medikamentenstudie teilgenommen, die fehlschlug. In Flashbacks und Traumepisoden spinnt der 38-minütige Thriller, der fast ausschließlich nachts spielt, ein undurchsichtiges Netz aus Lügen und Wahrheit. Was ist hier wirklich passiert? Was findet dagegen nur in Christians Kopf statt?
Zunächst scheint alles klar: Die Pharmamenschen sind die Bösen, die Patienten die Opfer. Nach und nach ergeben sich zunehmend Lücken in der Erzählung, die nicht nur Christian zweifeln lassen, sondern auch mit der Wahrnehmung der Zuschauer spielen. Zu Beginn des Films kniet Christian auf dem Boden, er hält Anna in seinen Armen. Diese zeigt die gleichen Symptome wie ein anderer Patient, der an den Folgen des Medikaments starb. Ihre Augen sind gelb unterlaufen, ihr Körper ist schwach. Christian macht sich also auf den Weg, um Hilfe für Anna zu holen. Doch er kommt nicht weit. Es scheint, als würde irgendjemand verhindern wollen, dass er der Sache weiter nachgeht. Selbst seine Schwester Alice (Picco von Groote) zeigt sich zunächst skeptisch, war er doch jahrelang in der Psychiatrie. Diagnose: paranoide Schizophrenie. Das heißt für ihn, dass ihm sowieso niemand glauben wird, egal was er sagt oder tut. Das ist das Stigma, mit dem er zu kämpfen hat.
Ein rauschender Soundteppich aus derben Bässen verstärkt die misstrauische Stimmung, die der Film suggeriert. Auf dem Beifahrersitz neben seiner skeptischen Schwester, beim Spurt auf den weiten Wiesen vor den Türen der Großstadt, blickt Christian immer wieder nervös hinter sich – aus Angst, verfolgt zu werden. Definitive Antworten bekommen wir in „Nocebo“ keine. Vielmehr eröffnet er uns eine Vielzahl an möglichen Realitäten: alles Hirngespinste, die sich Christian zusammengedichtet hat; alles ein großer Pharmabetrug, der vertuscht werden soll. Darin gefangen sind diejenigen, die sich sowieso nicht mehr wehren können. Denn sie sind bereits Teil des Hamsterrades Psychiatrie, in dem es heißt: einmal krank, immer krank. So wird der Film selbst zum Nocebo-Effekt, zu einer rauschhaften Wahnvorstellung, in der man sich einbildet, ein Arzneimittel hätte eine negative Wirkung.
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