Aus hiesigen Landen kommt manch unterschätzter Veteran nur selten zu Ehren. Deshalb widmen wir uns dem Werk von Hans W. Geißendörfer in einer Retrospektive voller Filmschätze. Einer davon heißt „Schneeland“.

In Hans W. Geißendörfers Romanverfilmung nach Elisabeth Rynell, „Schneeland“, ist der Titel durchweg beim Wort zu nehmen. Die Bilder schwedischer Landschaften nehmen in ihrer unerbittlichen Ferne gefangen, in den Herzen der dort wohnenden Charaktere vergraben frostige Stürme die Hoffnung. Im narrativen Sinne geschieht dies auf zwei Zeitebenen, die in ihrem abgekoppelten und doch parallelen Leiden eine Wechselwirkung erzeugen. In der Gegenwart verliert Elisabeth (Maria Schrader) ihren Mann Ingmar. Ohnehin von psychisch belastet und vom stilistischen Unbehagen gegenüber der Natur aufs Glatteis gezogen, trennt sie Familie und Kinder von sich ab, um sich der Einsamkeit im Tode hinzugeben. Beim konkret gegenmontierten Blick in die Vergangenheit um 1937 und 1938 kündigt sich ebenfalls ein Verlust der Mutter an. Die ärmliche Hütte, in der Ina (Julia Jentsch) mit ihrem eiskalten Vater Knövel (Ulrich Mühe) lebt, bringt jede Emotion in die Minusgrade, sobald der mütterliche Geist draußen begraben wird und Ina fortan als Lückenbüßer alle Aufgaben im Haushalt übernehmen soll. Die Bedrängung durch ihren Vater ist unbezwingbar, ein Leben in Zivilisation unterlassen.

Neu und erschöpft findet sich dagegen Aron (Thomas Kretschmann) in der Zivilisation ein, dessen Vergangenheit einer Familie im nächsten Dorf verborgen bleibt, die ihn aufnimmt. Seine Wege werden sich noch mit denen Inas kreuzen, wie auch Elisabeth in der Gegenwart Bekanntschaft mit der Vergangenheit macht. Die Schicksale dieser drei Parteien offenbaren sich Stück für Stück. Im Erfahrungsaustausch jenseits der Zeit vermeidet Geißendörfer aber pathetische Selbstfindungstherapien, die nur zum Feel-Good-Verständnis führen würden. Elisabeth fühlt sich vom Vergangenen in der Sehnsucht und im Leben mit der Einsamkeit verstanden, doch das Unbarmherzige daran bleibt, wie auch die Natur starr am Menschen abläuft. Allein Knövel muss man sein Verhalten verzeihen, das durch die Umstände pervertiert wird – er nistet sich immer mehr in seine Schmerzen ein. Diejenigen, denen er wehtut, wollen einfach nur weg, obwohl dort draußen kaum etwas ist. Ina bleibt zudem aus konservativer Verantwortung länger bei ihm, obwohl Aron nur wenige Minuten von ihr sein Lager aufgeschlagen hat und sie sich in der Konzentration des Nichts ineinander verlieben.

Die Nähe der Körper, splitternackt im Wind, wird zum einzigen Glück; alles andere ist unausgesprochenes Unglück. Der Film hält sich ebenso länger in den Zwischenphasen auf, kontrastiert die naturalistische Schönheit der Liebe mit dem Ekel der Selbstsucht, vor allem sobald Knövel wie Onkel Georg in „Ediths Tagebuch“ bettlägerig wird. Letztere Gefühlskälte hält an, auch als Elisabeth in der Hütte von einst notgedrungen übernachtet, Erinnerungen aufdeckt und vom Schneesturm drangsaliert wird. Gewiss lässt sich auch in der Struktur des Ganzen eine ansprechende, nicht unbedingt zum Hinschmelzen anregende, Melodramatik erkennen – Maria Schraders Voice over, Selbstgespräche und Irmin Schmidts Soundtrack lassen im Grunde nur noch wenige Fragen übrig, wenn nicht gerade die Landschaft an sich den Großteil der Erzählung übernimmt. Die Gefühle geschehen dennoch in ehrfürchtiger Stille, gefolgt von geradezu animalischen Eruptionen. Empathie und Wut bewerkstelligen Menschliches wie Unmenschliches, zeugen aber von (auch filmischer) Ehrlichkeit. Ob das Herz unter dem Eis erfroren liegt oder hinaus gebrochen wird: Es bleibt tot, aber es hat auch gelebt und lebt in anderen weiter. Ein tragisches Stück Hoffnung.

Meinungen

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