Das übelste Symptom, das sich im deutschen Genrekino ausbreitet, ist jenes, so gut wie die anderen sein zu wollen, sprich beim internationalen Standard anzuknüpfen – „Gut genug“ ist das neue „Gut“. Nur die wenigsten verstehen, dass gerade diese Mentalität zum Rückschritt bewegt und dem Film zur Austauschbarkeit verhilft. Nun ist es kein Unding, mit etablierten Formeln zu arbeiten, sofern man eine spezielle Würze daraus konzentriert. Simon Verhoeven jedoch beweist mit seinem vermeintlichen Anschluss an den Zeitgeist in „Unfriend“, dass die Anbiederung an eine kontemporäre Zielgruppe nichts nützt, wenn abseits der Oberfläche nur Altbackenes übrig bleibt. Optik, Jumpscare-Taktiken und standardisierte Charakterisierungen mögen zwar an die Qualität entsprechender US-Produktion anknüpfen – doch gegen die Langeweile fauler Klischees kommen sie nicht an. Schließlich geschieht der Tod hier per Social Media, der Jugendtrend wird aber in Gefilde geführt, die von Reihen wie „A Nightmare on Elm Street“, „Final Destination“ und „The Ring“ zu Genüge bestritten wurden – ein Umstand, den nicht nur erfahrene Zuschauer erkennen werden.
Im Mittelpunkt steht Psychologiestudentin Laura (Alycia Debnam-Carey), die privat wie ihr stereotyper Freundeskreis das Partyleben feiert und dieses durchweg auf Facebook teilt. Dass sich aus dieser Internetabhängigkeit ein Verhängnis bildet, könnte potenziell satirische Elemente hervorholen, Verhoeven entscheidet sich jedoch für eine ärgerlichere Option, nachdem er die Charakterzeichnung beinahe komplett aus faden Profilfotos gebildet hat: Außenseiterin Marina (Liesl Ahlers), die mit fettigen Haaren, bleichem Gesicht, abrasierten Augenbrauen, schwarzem Hoodie und null Facebook-Freunden das Abziehbild sozialer Dissonanz abgibt. Schlimmer noch, sobald sich Laura als Vertreterin der vom Film sympathisierten weißen Millenials auf eine digitale Freundschaft mit Marina einlässt, tritt das Worst Case Scenario ein: Auf dem Profil Marinas tummeln sich düstere After-Effects-Animationen, zudem erweist sie sich als Stalkerin auf der Suche nach Freundschaft und verursacht bei Laura somit Alpträume. Hätte sich Laura doch bloß nicht auf einen Menschen eingelassen, der anders ist als die anderen! „Voll der Freak!“ Warum solch ein altertümliches Menschenbild forciert werden muss, weiß nur Verhoeven.
Der hingegen inszeniert die Entscheidungen zur digitalen Entfreundung mit einer Dramatik, die lustig wäre, wenn er nicht im Folgenden ein Schreckensszenario entwickeln ließe, bei dem einen die Ängste der Protagonisten gleichsam treffen sollen. Weil Marina auch im Tode nur schwer locker lässt, dezimiert sie Lauras Freundeskreis nach und nach durch irre Visionen, bis sie ebenso (Oh Schreck!) null Freunde auf ihrem Profil stehen hat. Nun muss man Verhoeven anrechnen, wie effektiv er dabei das Schema hilflos durch die Korridore schleichender Menschen voll Unruhe und lauter Erschreckmomente umsetzen kann. Nur wiederholt sich jenes Prozedere dermaßen oft, dass einige modifizierte Variablen noch lange nicht ausreichen, um mitfiebern zu können. Nun sind allerdings einige Opfer von vornherein (in etwa, aber nie konsequent) hassenswert gezeichnet, dass man deren Ableben gerne ausgeschlachtet sehen möchte. Was das Ausreizen von Gewaltmomenten oder anderen inszenatorischen Risiken angeht, bleibt Verhoeven aber zu brav.
Stattdessen fokussiert er den Mystery-Terror nicht zu löschender Posts und Profile, die aber alleine daher rühren, dass die Kundenbetreuungen jener Seiten unfähig sind, etwas zu unternehmen. Ein nicht einmal irrealer, aber inzwischen auch trivialer Kritikpunkt am Onlinephänomen, dem nichts hinzugefügt wird, weil er in jenem Kontext von Hexenhand manipuliert wird und Social Media sogar der Verantwortung entlastet wird. Solche Inkonsequenz repräsentiert die oberflächliche Nutzung eines Themas, das sich fortan als Aufhänger für die x-te Offenbarung einer düsteren, gar okkulten Vergangenheit hergeben muss. So trifft man erneut auf gruselige Mädchen mit langen schwarzen Haaren (und Wednesday-Adams-Zöpfen), aus dem Nichts auftauchende Geister ermordeter Zwillinge sowie Gemäuer von Waisenhäusern, in denen zumindest Computer angekommen sind. Wo liegt da der Unterhaltungswert, wenn sich Verhoeven in allen Belangen der Reproduktion des Gewöhnlichen hingibt und jeden etwas anspruchsvolleren Genrefan für dumm verkauft?
Nun, wie es sich für jenes Sujet gehört, sind grauenvolle Dialoge, abgebrüht ungläubige Autoritätspersonen sowie spekulative Ansichten zur dargestellten Technik an der Tagesordnung. Jener naive Charme erschöpft sich leider lange vor dem erwartungsgemäß einfältigen Finale und bricht sich zudem das Genick mit zynischen, im Fachjargon ans Zielpublikum gerichteten Sprüchen („Lösch die tote Bitch!“). Ein primitives Menschenbild für einen Film, der sich in seiner stilistischen und inhaltlichen Steinzeit wohlfühlt und missachtet, wie rasant er darin altern dürfte – dieses Jahr kam ihm ohnehin schon „Unknown User“ zuvor. Vielleicht hat sich Verhoeven das ja alles auch als ironisches Experiment gedacht, an dem er die Untiefen des gegenwärtigen Horroreinmaleins exemplarisch aufarbeitet. Ob der Regisseur allerdings derart unterschwellig gewitzt zu seinen Topoi steht, darf bezweifelt werden.
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