Ein Laut zwischen Keuchen und Lutschen. Zwischen Verkehr und Lolli. Aber erst: ein Hase. Nicht das Bunny, sondern der Hase. Nicht sprich-, wortwörtlich. Panos H. Koutras’ „Xenia“ beginnt, wie man sich einen Film des griechischen Gegenwartskinos nach Yorgos Lanthimos’ Wunderwerken „Dogtooth“ (2009) und „Alpen“ (2011) gemeinhin vorstellt: eben wie eine wundersame Überraschung, die den Blowjob und einsame Kuscheltiere betreut – bis der Roadtrip endet. Ein bisschen lynchesk hadert das Ganze auch mit sich selbst, aber es versteift sich nicht auf solche Quer- und Quälereien. Schließlich will „Xenia“ noch erzählen von zwei Brüdern, die nach Griechenland gehören und doch wieder nicht. Denn Albaner sind sie ebenso, wenn auch nur halb; wie sie eben Griechen sind, wenn auch nur halb. Halb halb kennt der fast sechzehn-jährige Dany (Kostas Nikouli) jedoch nicht, der nach dem Tod seiner Mutter von Kreta flieht und zu seinem leicht älteren Bruder Odysseas (Nikos Gelia) in Athen stößt. Eine platinblonde Tolle kennzeichnet ihn, enge, farbige Hosen, Bänder und Ketten, die Art, wie er läuft, wie er spricht, seine Meinung äußert.
Dany gehört eigentlich weder nach Griechenland noch nach Albanien, er gehört in seine eigene Welt, die er sich nach der Flucht seines Vaters im Alter von zwei Jahren auch öffnet. Die Hauptrolle darin: ein Hase. Natürlich. Und der Hase lebt mal, er stirbt, er wächst, er spricht. Eigentlich existiert er nicht. Natürlich. Aber der Gedanke allein, dass Dany diesen einen beständigen Partner im Leben hat, der hilft ihm über die Runden. Immer mit einer Süßigkeit im Mund, sie muss nur süß genug sein, streift er umher durch die Straßen, reißt mal einen Kerl auf, klaut mal einige Naschereien. Als die Mutter aber stirbt, da meint Dany endlich seinen Vater treffen zu müssen. Zu den Klängen von Patty Pravo. Die ist Italienerin, aber das macht ja nichts. Und der Hase sieht irgendwann nach einer niedlicheren Variante des Hasen aus „Donnie Darko“ aus. Aber das macht ja noch weniger. Weil in Koutras’ Film passiert, was andere im Zwang versuchen und daher explizit scheitern muss: Er tanzt, er trinkt, er vögelt. Manchmal auch alles ein wenig zur selben Zeit. Und er hat einen Hasen, weil es mit einem Hasen doch alles einfacher ist. Denn der Hase hat schon Herz. Neben all der anderweitigen Herzlichkeit.
Natürlich hebelt Koutras sein simples Gerüst aber nicht aus den Angeln, sondern lässt es im Atem der Jungen treiben, weil er sich glaubt verständigen zu können. Obwohl die Sorge nach emotionaler und psychologischer Annährung durch seinen Regisseur eine zutiefst unbegründete ist. Denn Koutras selbst ist der Ausgestoßene, von dem sein Werk handelt; der homosexuelle Jugendliche, der rebelliert und die Welt nicht versteht; der nicht akzeptieren kann, was die Politik und Kunst des Landes mit seinen Kindern treibt, geschweige denn von seinen Immigranten will. „Xenia“ heißt Gastfreundschaft. Aber in diesem heutigen Griechenland existiert sie nicht, wie die ebenso genannte Kette von Luxushotels nicht mehr existiert, die in den späten fünfziger Jahren über das Land verteilt gebaut wurde und die rigorose Hoffnung der Menschen abbildete. Auch Dany und Odysseas stoßen irgendwann auf solch ein verwaistes, heruntergekommenes Hotel, welches in müßiger Wildnis wuchert: Da springen und tollen sie herum, stellen kleine, zuvor gekaufte Lautsprecher aus dem Supermarkt auf und tanzen betrunken zu Raffaella Carràs „Rumore“. Der Lebensdrang blubbert wie ein Ungetüm in ihnen. Und sie lassen ihn frei: wieder und wieder. Auch wenn ihre Umwelt ihr Leben nicht fassen kann.
Die Entfremdung von seinen Menschen stößt Koutras in blendender Tradition in eine, wie er seinen Film selbst nennt, etwas andere griechische Odyssee. Womit er Recht und gleichsam Unrecht hat. Etwas anders ist dieser „Xenia“. Natürlich. Zugleich ist dieser „Xenia“ aber auch humanistisches Grenzgängerkino und läutet immer wieder Referenzen auf Koutras’ eigene Filmografie (insbesondere „Strella“ über die Suche eines Vaters nach seinem Sohn) ein, wie er auch Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“ ohne Umschweife in seinen Kanon integriert. Panos H. Koutras fragt, ob Humor Griechenland oder die Welt retten kann. Wer weiß? Aber Koutras weiß, zu welchen erstaunlichen Dingen Film imstande ist.
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