Guillermo del Toros „Blade II“ erweitert unsere Ode an die Hüter der Menschlichkeit – so außerirdisch sie manchmal auch sein mögen. Ein Hoch auf die Superhelden!

Die Ärztin hat Guillermo del Toro wegrationalisiert. Sie tauchte in der ersten „Blade“-Verfilmung auf, vernachlässigendes Beiwerk. Karen (N’Bushe Wright) geht keine Liaison mit dem Vampir und -jäger ein. Neustart. Zum Glück. Die Vorgeschichte ist eilends abgestempelt, schmissige Flashbacks, knappe Collagen, die Geburt Blades, der Treff mit Whistler (Kris Kristofferson), Blades Überzeugungsmanifest, die Gadgets, die Feinde. Wesley Snipes schlüpfte für „Blade II“, einem auffällig durchrauschenden Sequel, erneut in die Rolle des bockigen Lack-und-Leder-Cowboys. Sein Stoizismus, die distinguierten Gesten, die weltüberstehende, überzeitliche Extravaganz, vor dem Blutrausch die ihm zugeworfene Sonnenbrille zu fangen – Blade ist Blade und Snipes ist darin markant aufgehoben. Ansonsten geht seine Mythologie und Charakterpsychologie über die Physiologie nicht weit genug, um mehrere Geschichten (auf der Leinwand) zu legitimieren. „Blade II“ aber gefällt sich nicht nur in Gestalt eines Adventure-Happenings, Blades interessantestes Charakteristikum in Aktion, die partiell unterdrückten Vampir-Eigenheiten, auszudehnen, sondern die Figur als solche in ein dysfunktionales Familientableau einzuarbeiten. Bar jeglicher bräsiger Erklärungsnot schafft del Toro einen del-Toro-Film: minimal emotionsaufgeladen und maximal intim, versüßt mit aufwendigem Maskenhandwerk und grenzgenialer Bewegungsagilität.

Im zweiten Teil muss sich Blade zentral mit dem (ja: widerwillig vorurteilslosen) Feind aneinander fesseln, um einen neuen zu bekämpfen und damit das Kooperationsverhältnis jener zwei Mächte um die Vorherrschaft der Bevölkerungspopulation umkrempeln. Die Reapers erweisen sich als beinahe unsterbliche, regenerierbare Biomutationen, versessen auf Vampirfleisch. Sie vermehren sich rasend schnell und wirbeln die Ordnung eines nebengeschichteten Lebensmakrokosmos durcheinander. Einen wissenschaftlichen Laborblick in ihre anatomische Beschaffenheit gewährt del Toro in einer für ihn stellvertretend eklig-schwabbeligen (Operationstisch-)Szene: Es geht um das durchdeklinierte Verstehen fremder Organismen, um keine selbstgefälligen Äußerlichkeiten, um keine Monster, die wie eine Werbefläche der Fantasie postiert, sondern bis ins Innerste evolutionär ausgedacht und begriffen werden, um sie sinnvoll handlungsbezogen einzufügen. Die Ambivalenz der Geschichte, sich, einem höheren Zweck ironischerweise zur Erhaltung zweier Arten dienend, in die Arme des Gegners zu werfen, die unter einer langlebigen Historie an einen zerstrittenen Familienstammbaum gekettet sind, entwickelt einen Reiz, den „Blade II“ im deterministischen Subtext evoziert – den Reiz, dass die böse vampirische Allmacht Verlierer ihrer vergänglichen Identität und entkörperlichten Fragilität sind, zu deren Archaik sich Blade nicht bekennt.

Eine vielversprechende Stütze: Blade lernt auf seinem Kreuzzug gegen die Akzeptanz seiner Natur Nyssa (Leonor Varela) kennen, die kampferprobte Tochter des alten Vampirpaten (ausgefallen und zweierlei blass: Thomas Kretschmann). Bei allen überfüllten Inszenierungsbonmots: Der Film findet infolge dieser verknappten Figurenbeziehung an unerwarteten Stellen zu einer verbotenen, aber sanften Vampir-Romantik zurück, die er ohne imitiertes, grundfalsches Gefühlspochen rudimentär aufleuchten lässt – während ein Kuss zur überlebensnotwendig elementar-primitiven Bluttrinkerei eine poetische Reflexion erhält. Bis die Flammen der Liebe wortwörtlich zu Asche zerfallen. Angesichts des Umstandes, dass del Toros Fortsetzung sonst kaum eine Verschnaufpause einlegt, um sich zu regenerieren, ist dies, nämlich die unvermutete Rassenmenschlichkeit, umso ungewöhnlicher. Mit Ron Perlman als brodelnder Opportunist und vielen weiteren Charakteren im Schlepptau, die sich eine Fassade aufgebaut haben, kredenzt del Toro ein sinnreiches, nunmehr tiefergehendes Beat-Universum ins Groteske verzerrter (Vampir-)Chiffren – Swimmingpools aus Blut, rotes Kokain, Rasierklingenvorspiele. Dass „Blade II“ ein paar Jährchen auf den Schultern trägt, untermauern zwar die bisweilen schlecht gealterten Computeranimationen eines Flummi-Blades im Nahkampf, sind dem drastischen Neon-Fragmentsplitterregen aber ungeachtet dessen selten abträglich. Cool.

Meinungen

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