Essen sei der Sex des Alters. Nur? Jon Favreaus „Kiss the Cook“ hebelt viel mehr als nur diese simple These aus: Er wendet zugleich die kulinarischen Binsenweisheiten des amerikanischen Mainstream in schmatzendes Schweinefleisch, knackende Krusten, Kalorien und Lavakuchen mit flüssigem Kern. „Kiss the Cook“ fordert Orgasmen, Hungergelüste und das süße Leben, welches nicht mehr als ein Beignet oder kubanisches Sandwich sein muss. Besagter Chef heißt Carl Casper (ebenso Favreau), ein korpulenter Kerl mit kurzen Locken und Van-Dyck-Bart, der zwar in einem poppig-trendigen Lokal in Los Angeles kochen darf, aber eben nicht, was er will. Dafür sorgt der Mann hinter den kommerziellen Kulissen (Dustin Hoffman) schon zur Genüge. Bis zum Rausschmiss, der Casper nicht sonderlich, aber doch ein wenig zum rückbesonnenen Nachdenken zwingt. Ab da an schmeißt er einen Food Truck mit seinem Amigo und eigentlich nun Sous-Chef Martin (John Leguizamo), den die Beförderung in L.A. so gar nicht tangiert. Stattdessen Passion auf Achse mit Sohnemann. Warum auch nicht? Frei nach der englischen Phrase „you only live once“, daher koche mit Liebe, Speck und buntem Bandana!

Jon Favreaus Film ist dabei zugleich das wohl fieseste Food-Porn-Rock-’n’-Roll-Musical unter kalifornischer Sonne und kubanischen Klängen wie ebenso die unabdingbare Rückkehr seines Regisseurs zu seinen Wurzeln im Independent, die er besonders nachhaltig mit den ersten zwei „Iron Man“ (2008 und 2010) kappte und nun großzügig sporadisch neu eröffnet. Als die drei Protagonisten irgendwann mitten in der Highway-Pampa lautstark zu Marvin Gayes „Sexual Healing“ singen und in ihrem Food Truck wippen, sprüht letztlich nur reines Herz aus jenem flüssigen Kern des Lavakuchens, den der Kritiker Ramsey Michel (ein genüsslicher Shortie: Oliver Platt) zu Beginn so verabscheut. „Kiss the Cook“ belegt zudem, dass eine konventionelle Struktur und Ausführung in drei Akten leidlich dekonstruktiv selbst kreative Elemente niederstrecken muss. Dafür scheint Favreaus Film geradezu leibhafter Antibeweis, weil er den Zuschauer gehörig an den Geschmacksnerven herum und in den gewalttätigen Hunger führt. Bildgestalter Kramer Morgenthau lässt Fleisch, Gemüse und viel, sehr viel lang gezogenen Käse ohnehin so sinnlich aussehen, dass nicht Scarlett Johansson (in einem winzigen Cameo) zur Femme fatale verkommt, sondern: das Essen. Und Himmel, gibt es hier eindeutig zu viel davon.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Kiss the Cook“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 16.02.2017

Elle

Paul Verhoeven kehrt zum Wechselspiel der Moral in der humanistischen Rücksichtslosigkeit zurück.

Kinostart: 08.12.2016

Right Now, Wrong Then

Hong Sang-soo parodiert die Macht der Wahrnehmung, indem er sie egoistisch nacherzählt.

Kinostart: 01.12.2016

Die Hände meiner Mutter

Florian Eichinger blickt realitätsbewusst auf die Anatomie und Konsequenzen des Missbrauchs.

Kinostart: 17.11.2016

Amerikanisches Idyll

Ewan McGregors Regiedebüt bemüht nur ein vages und moralinsaures Porträt einer Radikalisierung.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.