Gehen wir vom Idealfall aus: Im Film betritt man andere Welten und begibt sich auf Reisen jenseits des Fassbaren, dem Auffassbaren und erlebbaren Gefühl eines in sich ablaufenden Zeitrahmens ergeben. In Wojciech Has’ Aufbereitung seines mysteriösen „Das Sanatorium zur Todesanzeige“ gerät man daher in eine besonders eigensinnige Zone, die nur in den Windungen des Zelluloids wirklich existieren kann, aber dabei reichlich Menschliches visualisiert. Metaphysische Träumereien und Vermengungen aus Vergangenheit und Gegenwart erzählen die psychedelische Erkundung Józefs (Jan Nowicki) zwischen den verstaubten Wänden der letzten Behausung seines Vaters, zusammen mit anderen Patienten, deren Dasein im Endstadium stecken geblieben ist.

Alle teilen sie einen überschneidenden Limbus der Existenz, verzerrt und gewürgt in komatöser Dekomposition. Sie sind aber womöglich auch Józefs Abbilder von sich und seinem Leben selbst, innerhalb mentaler Verdrängung und Bewältigung hin- und herschwindelnd; exzessiv und scheinbar lustvoll, in ihren Mechanismen des Vergangenen aber nach Hilfe strebend. Deren Logik folgt die Kamera dabei mit behutsamen Plansequenzen und montiert sich wie Józef selbst frei jeder rationalen Grenze durch groteske und frivole Szenarien. Bestimmte Landschaften und grandiose Sets kehren immer wieder wie auch Personen, Fremde und Familie, in Variationen der Lebhaftigkeit – verschneit, nackt, neblig, aber nimmer konkret, stets die Realität leugnend, bis schließlich nur noch die unausweichliche Erschöpfung, das Ausbluten des Verstandes und der Erinnerungen folgen kann.

Für den Zuschauer wird allerdings keine genaue Erklärung geleistet. Klar, denn so ein Einblick in eine psychische Verendung eines fiktiven Individuums (und den zahlreichen Vorzeichen oder auch Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs im Narrativ) will sich nicht direkt erklären. Drum bleibt der Reiz dieser unerklärlichen Erfahrung umso stärker, sich atmosphärisch offen zu halten und die Beobachtung aus der leichten Untersicht zu gewährleisten. Näher an dem Prinzip und der Wirkung des individuellen Traumes kann man als Außenstehender auch gar nicht sein, doch wurde er hier recht spürbar ins Leben gerufen. Eine vollkommen andersartige Dimension – wie der Originaltitel übersetzt schon besagt: ein wahrhaftiges „Sanatorium zur Sanduhr“. In sich durch einen Tunnel verlaufend und leerend, aber immer wieder aufs Neue erweckbar wie auch die innewohnenden Gedanken, Menschen, Orte, Erinnerungen. Hoffnungslos und hoffnungsvoll, Ein- und Ausstieg aus dem Grab zugleich.

Meinungen

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