Vor einigen Jahrzehnten wurde Wim Wenders mit Filmen wie „Alice in den Städten“, „Im Lauf der Zeit“ sowie „Paris, Texas“ als teutonischer Meister des Roadmovies bekannt und schaffte damit den Sprung ins internationale Independent-Kino. Inzwischen macht er es aber wie Kollege und Zeitgenosse Werner Herzog und konzentriert sich hauptsächlich auf Dokumentarfilme. Seine letzten Ergebnisse in jene Richtung, „Pina“ und „Das Salz der Erde“, wurden gar wie bereits „Buena Vista Social Club“ (1998) mit Oscar-Nominierungen gesegnet, während aktuellere fiktionale Stoffe wie „Palermo Shooting“ und eine Handvoll Langnese-Werbespots eher weniger Gegenliebe erhielten. Nun allerdings wagt er eine Rückkehr ins Spielfilmgenre, welche ein hohes darstellerisches Profil beherbergt und zudem anhand des technischen Spiels mit 3D eine Neuerfindung des Autorenfilmers aus Düsseldorf anstrebt.
So sucht er in „Every Thing Will Be Fine“ eine visuelle Sinnlichkeit, die sich im bildlich unspektakulären Schicksalsdrama versteckt und verdichtet die Dimensionen recht konventioneller Schauplätze, um das Umfeld der Figuren als zusätzlichen Charakter zu vermitteln. Das scheint zumindest die Theorie der angewandten Methodik zu sein. Allerdings versperrt die Umsetzung jenes Potenzial mit einer Inkonsequenz, sich zwischen Handlung und Gefühl entscheiden zu können. Jenes Wechselspiel lässt sich von Anfang feststellen, sobald Protagonist Tomas Eldon (James Franco) eingeführt wird: Der ambitionierte Autor verdient eher mit Nebenjobs sein Geld und findet sich in einer Depression zwischen dem Schnee Kanadas und behutsamen Vertigo-Effekten ein, während er vor seiner schwierigen Ehe mit Sara (Rachel McAdams) flüchtet. In knappen und irreal konkreten Dialogen wird dabei eine standardisierte Charakterzeichnung erwirkt und entsprechend sentimental vertont. Diese packt die Themen des Films pointiert an, bedient jedoch allzu sehr filmische Gefälligkeiten und wirkt somit auffällig konstruiert.
Der konventionelle Schnitt und die ebenso saubere Kameraführung machen es sich ebenfalls gemütlich, die Formeln des einfachen Dramas zu erfüllen. Was man Wenders aber in seiner Nutzung von 3D zugutehalten kann, ist die Unaufgeregtheit des Effekts, sich den Umständen anzupassen. Schnell akzeptiert man die zusätzliche Dimension und lässt die Schneeflocken an sich vorbei ziehen, während die Umgebung genauso aufgefasst wird, wie man es vom Medium Film gewohnt ist. Letzteres hemmt aber auch die Atmosphäre, wie wenig sich die Methodik des Films nämlich von gängiger Ästhetik abgrenzt. Jener dramatische Einschlag, der auf das Leben von Tomas Eldon einwirkt, würde nämlich auch so beim Zuschauer ankommen: Bei seiner Selbstfindungstour passiert ihm auf einer Landstraße ein Unfall – er überfährt einen von zwei jungen Brüdern. Die Schuld daran lastet jahrelang auf Eldons Herzen; seine Verarbeitung verschleiert er hinter einer versteinerten Miene und setzt sie eher in seine Bücher um. Diese erlangen dadurch zwar Erfolg, doch dem Glück bleibt er fern – die obligatorische Enttäuschung des Vaters (Patrick Bachau) und das zum Scheitern verurteilte Eheleben geben auch keine allzu optimistischen Anker ab.
Regisseur Wenders kann wenig aus dem Drehbuch von Bjørn Olaf Johannessen herausholen, vermeidet als Altmeister der Bewegung allerdings plakativste Klischees durch gemäßigte Darstellerführung und abstrahierende Zeitsprünge – wobei manche Schwarzblenden recht unbeholfen wirken. Dabei entsteht einerseits Kurzweiligkeit, andererseits ein Genre fixiertes Selbstvertrauen, an dem sich Werte der Menschlichkeit identifizieren lassen, obwohl – oder gerade weil – einfache Knöpfe der Empathie gedrückt werden. Zudem findet der Film darin endlich eine stimmige (teils wortwörtliche) Überblendung zwischen dem simplistischen Narrativ und der dimensionalen Sinnlichkeit des 3Ds, sobald Eldon aus seiner Verantwortung heraus den Kontakt zu jener Familie sucht, deren Leben er in Krisis gestürzt hat. Er kehrt zur Wiedergutmachung zurück und gibt auch an, dass er diesen Ort, an dem es geschah, schlicht nicht vergessen kann. Jene Plattitüde motiviert beim Zuschauer anhand des dreidimensionalen Effekts zur Reflexion zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Das Problem ist nur, dass der Film seinen Fokus weiterhin nicht auf die Erfahrung des Zuschauers legen kann, sondern auf den dramaturgisch festgelegten Weg von Plot und Charakteren. Wie sehr man sich auf diese projiziert, hängt ganz vom Individuum ab. Fakt ist jedoch, dass sie wie der Zuschauer an einer erzählerischen Linie gezogen werden und nicht anders können, als ernüchtert Folge zu leisten. Die Sage der Wiedergutmachung und Vergebung wird nämlich noch um einige Jahre überflüssig weitergesponnen – wie ein grotesk verlängerter Epilog. Alexandre Desplats leider größtenteils entbehrlicher und vorgreifend emotionalisierender Score deckt die nüchternen Bilder mit einer Ambivalenz und Ungewissheit ein, welche aber nie erfüllt wird. Ohnehin reißt der Film einige Aspekte von Verlustangst und Distanz an, ohne sie jedoch derart zu veräußerlichen, dass sie innerlich ankommen. Er bleibt handzahm und schrammt immerzu an jener Konsequenz vorbei, mit der man eins mit den Charakteren sein könnte und an denen der 3D-Effekt wirklich seine Wirkung entfalten dürfte.
Stattdessen winkt zum Schluss die Glückseligkeit im Happy End, das den Zuschauer nun anhand des Vertigos in ein Licht der Zukunft hineinzuziehen gedenkt. Doch dafür ist James Francos unterfordertes Schlafwandler-Spiel im Zentrum schon zu spät dran. So wie dieser eine unterdrückte Pein vortäuscht, behilft sich auch Wenders einer Prätentiösität in der zwanghaften Umsetzung des Inhalts. Hätte er den Ballast der narrativen Verstrickungen auf ein Minimum reduziert und seine visuellen und emotionalen Gewichte wirklich aufs Einverleiben bestimmter Ortschaften und Stimmungen gerichtet, dann wäre hier eine echte Besonderheit entstanden. So wirkt das nicht unbedingt fehlerhafte, aber doch mittellose Drama wie Standardware der Gemütlichkeit inklusive nachträglicher Zusatzdimension. Der Film degradiert sich schließlich ein Stück weit selbst, obwohl er sich mit einer gewissen Ambition verstand. Jedoch bringt der Gedanke allein keine befriedigenden Resultate, so wie auch das Extra-Leerzeichen im titelgebenden „Every Thing“ schier überflüssig im Raum steht.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Every Thing Will Be Fine“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.