Aus hiesigen Landen kommt manch unterschätzter Veteran nur selten zu Ehren. Deshalb widmen wir uns dem Werk von Hans W. Geißendörfer in einer Retrospektive voller Filmschätze. Dieses Mal geht es um die Serie „Lobster“ von 1976. Es folgen Besprechungen zu den ersten drei Episoden.

Episode 1: Der Einarmige

Erstausstrahlung: 25. Februar 1976

Der freiberufliche Privatdetektiv Hans Lobster (Heinz Baumann) operiert in den Gassen urbaner Hinterhöfe und ist ein gemütlicher Kumpel mit sarkastischem Ton, der mit Morgenzeitung und Brötchen auf der Couch herumlümmelt. Bis ihm ein Auftrag von einer Versicherungsgesellschaft entgegenkommt. Dieser besagt, er solle eine Million D-Mark mit dem frisch entlassenen Franz Borsig (Heinz Bennent) ausfindig machen, der diese Beute versteckt haben soll. Die Polizei ist dem Mann auch auf den Fersen, überlässt Lobster allerdings den Großteil der Arbeit, da sie die Prämie schließlich nicht einsacken dürfen. Dafür geben sie ihm ständig durch, wo sich Borsig gerade aufhält und bitten ihn, dass er sich beeilen solle. Lobster wimmelt aber meistens ab, sagt, dass Borsig längst weg sei, wenn er mit dem Anziehen fertig werde. „Lobster“ ist eben ein lockerer Zeitgenosse. Erst, als er hört, dass Borsig in einer Kneipe untergekommen ist, schmeißt er sich in Schale und inszeniert dort eine Schlägerei, um mit dem von seiner Vergangenheit gepeinigten Verbrecher zu sympathisieren.

Darsteller Heinz Bennent und Regisseur Hans W. Geißendörfer reflektieren hier ihre Zusammenarbeit in „Perahim“ – nur dass dem Ex-Verbrecher ein Verständnis zukommt, das ihm zuvor verwehrt blieb. Borsig schießen nämlich alte Komplizen in den Rücken – und weil er nicht ins Krankenhaus will, schleppt Lobster ihn zu sich nach Hause. Vorher ruft er aber noch seine arbeitslose Tochter Ellen an, sein Namensschild mit Berufsbezeichnung von der Wohnung abzunehmen. Borsig übernachtet sodann bei Lobster, wo er von dessen Tochter rührend umsorgt wird, und entwickelt allmählich eine Freundschaft zu Beiden, ohne zu wissen, was Lobsters wirkliches Anliegen ist. Daher unterbreitet er seinem Retter auch das Angebot, das Geld untereinander aufzuteilen, wofür er ein paar Leute befragen und vor allem Borsigs Ex-Geliebte Karin (Elizabeth Kreuzer) auffinden muss. Ellen ist erbost über ihren Vater, es so weit kommen zu lassen.

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Lobster ist aber eben kein Zyniker, sondern steht zu seinem Wort und macht Karin ausfindig, welche inzwischen mit einem Anderen verheiratet ist und zudem eine Tochter aus dem Verhältnis mit Borsig hat. Sie willigt ein, ihn in Lobsters Wohnung zu treffen – und obwohl ihr Ehemaliger zunächst bestimmt den Aufenthaltsort der Kohle erfahren will, mäßigt er allmählich seinen Ton, wie es eben nicht den Genreregeln, sondern einer gemeinsamen Vergangenheit unter verletzten Menschen entspricht. So nutzen die Umstehenden auch nicht seine Opferstellung aus; Karin fragt ihn sogar, ob er denn (zum ersten Mal überhaupt) seine Tochter sehen will. Der kurze, doch einprägsame Moment des Zusammentreffens wird symptomatisch für den kathartischen Fokus der Serie auf ihr Verständnis zu den Charakteren. Aber weil Ellen mit dem verletzten Borsig mitfühlt, waltet irgendwann ihr Gerechtigkeitssinn und sie offenbart ihm, wer ihr Vater in Wirklichkeit ist.

Nun allerdings erhebt sich die Lage in neue, gefährliche Dimensionen, während Lobster parallel dazu immer näher an jene Menschen herankommt, welche das Geld horten. Interessanterweise löst Geißendörfer seinen Showdown allerdings wie schon in „Perahim“ nicht reißerisch auf, sondern erzählt mit nüchterner Zielstrebigkeit das Nötigste. Er bleibt gefasst und bodenständig, wie es zum Fall und zur Person des Lobsters an sich passt. Dabei schafft er es zudem, stilsicher mit den Formeln und Protagonisten des Genres sowie einem Gespür für das Menschliche, dessen alltäglichen Schicksalen, Motivationen und Sorgen zu jonglieren. Das erfüllt sich in jener konzentrierten Größenordnung mit einer emotionalen Wirkung, wie es nur wenige Serien in ihren ersten Lebensstunden schaffen. Eine derart humanistische Wärme im Serienformat, speziell für den gebrochenen Bösewicht und Kriminellen, erlebt man sonst bei „Breaking Bad“. „Lobster“ aber war seiner Zeit voraus.

Episode 2: Zwei Fliegen

Erstausstrahlung: 10. März 1976

In Folge zwei bekommt Ellen Post von ihrer Mama, die auf Weltreise ist und dabei einen neuen Mann an ihrer Seite hat. Da fragt sie ihren Papa Lobster, ob er nicht eifersüchtig sei – doch der entgegnet beim Frühstück nur, dass er in seinem Alter gelernt hat, in solchen Sachen nicht mehr viel zu leiden. Diese Folge wird ihm beweisen, dass selbst er Frauen gegenüber nicht abgestumpft ist und Männer für das weibliche Geschlecht durchaus noch leiden können. So sucht sich die aufreizende Birgit Klein unseren Privatdetektiv zum Personenschutz aus, nachdem sie beinahe einem Bombenanschlag in ihrer Wohnung zum Opfer fiel. Schon bei der ersten Begegnung macht sie ihm schöne Augen und rät ihm, sich für das Engagement in ihrer Behausung einzuquartieren. Ihr Ehemann, Bauunternehmer Rolf Klein, schätzt seine Anwesenheit zwar, gibt ihm aber zu verstehen, dass er ausschließlich als Bodyguard tätig sein soll und nicht als Detektiv; denn „hier gibt es nichts herauszufinden“.

Aber gerade dadurch wird Lobsters Interesse an der Ermittlung geweckt und wir erleben eine der seltenen Episoden dieser Krimiserie, in welcher der Protagonist in seiner Profession tatsächlich aufgeht – ironischerweise dann, wenn er dies nicht machen soll. Relativ schnell bekommt er aus Gatte Rolf heraus, dass dieser von der griechischen Mafia erpresst wird, da er illegal eingewanderten Schwarzarbeitern zu wenig gezahlt haben soll – eine Erklärung, die der Herr offen zugibt. Sowieso scheint dessen Haushalt abgeklärt und liberal zu sein, weiß er doch von den zahlreichen Affären seiner Frau und duldet diese offenbar. Die Verhältnisse der modernen Ehe werden eben so glatt und kalt gehandhabt wie das futuristische, von Fasanen bewanderte Dekor des Anwesens. Und mittendrin der bodenständige Lobster, der diesem befremdlichen Komplex verwundert zuschaut und letztendlich auch dem Charme von Birgit erliegt, nachdem sie bei einer Kinovorstellung einem erneuten Bombenanschlag entkommt.

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Dabei stellt er sich aber recht unsicher an und versucht, einem Teenager ähnlich, unbeholfen zu knutschen, wobei er nicht weiß, ob er das mit seinem Gewissen vereinbaren kann – wo Birgit doch zugibt, dass sie ihren Gatten trotz aller Flirts und Affären noch immer liebt und Lobster zudem in einer freien Minute erwischt, wie er sich in einem Kissen ausheult. Der Stolz eines Mannes kann derartige Verhältnisse wohl nur begrenzt ertragen, selbst wenn er es anfangs nicht zugeben will. Letzten Endes fragt Rolf seine Frau, ob sie ihn noch immer liebt, aber auch, ob sie ohne die ganzen Liebschaften auskommen kann, was sie sodann verneint. Die Geschichte wird garantiert nicht gut ausgehen, die Kamera verweilt also zum Abspann auf einer Leiche, die für die Feigheit eines längst Gebrochenen sterben musste. Da fließt ganz langsam und dickflüssig der rote Lebenssaft über den Boden wie in Geißendörfers „Dracula“-Adaption „Jonathan“, welche er mit dem wiederholten Einsatz von Edvard Griegs „Ases Tod“ ohnehin ausdrücklich zitiert.

Passend zum Verweis auf seine eigene Stilistik zeigt Geißendörfer eine Affinität zum Genre der Privatdetektivserie, deren Formeln er in der ersten Folge eigensinnig umstellte, hier nun effektiv aufblühen lässt und sogar typische Romantisierungen des Berufs anwendet, inklusive Explosionen, Schusswechseln und Verhören. Doch auch hier dreht er den Spieß um und lässt durchscheinen, dass jene Handlungen zum Leiden des Gatten und anderer beigetragen haben dürften. Lobster hat es immerhin noch mit echten Menschen zu tun, inmitten eines trostlosen und visuell zynischen Herbsts. Und da liegt es der Serie schlussendlich eindeutig fern, jenem selbstgefälligen Fantasie-Ethos des etablierten Sendungsformats die Bühne zu überlassen.

Episode 3: Stirb

Erstausstrahlung: 24. März 1976

Bei Familie Lobster herrscht Ebbe in der Haushaltskasse – dennoch verbringen Vater und Tochter wie gehabt das Frühstück miteinander. Mit Freude empfangen beide später einen alten Freund, den Bankier Ernst Brühl. Ein neuer Auftrag steht an, denn der Mann lädt Lobster fürs Wochenende auf sein Anwesen ein, um herauszufinden, welche finsteren Gesellen seinen hitzköpfigen Sohn Klaus erpressen. Auf dem Weg dorthin, inmitten bayrischer Heimatluft, lässt es sich der Geißendörfer nicht nehmen, die zeitgenössische Filmwelt mit Postern zu Wim Wenders’ „Falsche Bewegung“ und „Der Teufel führt Regie“ zu zitieren. Ohnehin leistet er sich bei der Besetzung der Familie Brühl mit der von Irm Herrmann gespielten Tochter und dem von Ulrike Luderer verkörperten Kindermädchen eine kleine „Sternsteinhof“-Wiedervereinigung.

So begegnet unser Lobster einem nicht nur darstellerisch reichen Familienkomplex, wird von der aufmüpfigen Tochter Ute vom Bahnhof abgeholt und einladend von Frau Mama, Hedwig Brühl, empfangen. Weniger umgänglich gestaltet sich Oma Ottilie, die blanken Hass für ihre Familie empfindet. Trotz ihres Argwohns entpuppt sie sich im Verlauf als offenste Bezugsperson für Lobster, wenn es um die vielen perfiden Familiengeheimnisse geht. Denn obwohl er eigentlich zur Ermittlung herbestellt wurde, herrscht im Haushalt eine ermattete Dekadenz. So wirkt es trotz der Sorgen um Sohn Klaus, als ob das Familienoberhaupt Lobster hauptsächlich die familiären Verhältnisse zur Observation freigeben will. Und schon beim Abendessen bietet sich ihm ein Schauspiel an, als der Hausherr seiner versammelten Sippschaft offenbart, dass seine Bank aufgrund von Devisenspekulationen Pleite gehen und deshalb das Vermögen der Familie auf Eis gelegt wird.

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Szene aus „Lobster“ © Studio Hamburg Enterprises

Die Familie beginnt daraufhin zu konspirieren; hinterlässt Leichen, Verdächtige und offene Rechnungen, bis sich unser spitzzüngiger Detektiv erstmals in seiner Fernsehkarriere sicher ist und extra in Schale legt, um die angeblichen Mörder vor versammelter Familie in stilechter Heldenmontur zu offenbaren. Aber Pustekuchen: Innerhalb einiger Rückblenden erfahren wir von den Beteiligten, wie das Opfer systematisch zum Selbstmord getrieben wurde. Sprachlos schaut Lobster in die Runde und rupft an seiner Krawatte. Nach der lückenlosen Offenbarung setzt der normale Tagesablauf wieder ein, als sei nie etwas geschehen. Beschämt steht Lobster auf und blickt angewidert auf das perfide Treiben dieser Familie – einerseits wahrscheinlich aus Enttäuschung, dass nicht er letztendlich den Fall lösen konnte (eine augenzwinkernde Ablehnung der Genrekonventionen), andererseits, weil sein Einblick von jener hinterlistigen Methodik dieser Gemeinschaft nicht seinem Ideal familiärer Problembehandlung entspricht, aber eben doch zur Realität gehört.

So ist das nun mal im Leben eines Kapitalisten, wo Hierarchie und Geld alles bedeuten und schlussendlich über der Familie stehen. Und obwohl Geißendörfer hier eine Kritik am Kapitalismus abzulesen ist, scheut er nicht davor zurück, die Situation des Ernst Brühl zu zeigen, welcher durch die Vergangenheit mit Lobster, unserem Vertreter des Proletariats, verbrüdert ist und genau dieselben Sorgen hat – wenn auch in weit höheren Summen. Die Liebe zu Tochter Tessa ist ohnehin ein ausschlaggebender Faktor zur minutiös offenbarten Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidungen und reflektiert die harmonische Beziehung zwischen Lobster und seiner Tochter, die bereits in vorhergehenden (und kommenden) Folgen Probleme zu meistern hatten. Es ist für Geißendörfer zwar gen Ende klar, welche familiäre Einheit im Duell die Oberhand behalten wird – doch für ein Urteil nimmt er seinem Helden doch noch spielerisch den Wind aus den Segeln, während die Verlierer mit ihrer unausgegorenen Ideologie als Menschen jenseits ihrer Kontrolle das Verständnis des Zuschauers gewinnen. Eine lobenswerte Ambivalenz, welche diese Serie stets hervorruft!

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