Fast ganz Deutschland dürfte die langjährige Serie der Öffentlich-Rechtlichen, die „Lindenstraße“, kennen, die Hans W. Geißendörfer erfunden hat. Was dagegen allgemein zu vergessen werden scheint, ist die Arbeit, die er für das Kino bis heute geleistet hat. Als Mitbegründer des „Filmverlags der Autoren“ entwickelte der 1941 in Augsburg geborene Regisseur, Autor und Produzent (zuletzt unter anderem bei „Der Bunker“ und „Berberian Sound Studio“ aktiv) schon früh die Sprache des neuen deutschen Films mit. Zwar mag sein Name in dieser Hinsicht weniger Wellen geschlagen haben als Marken wie Fassbinder, Wenders, Herzog oder Schlöndorff – allerdings kann er dafür eine Filmografie vorweisen, die seine Zeitgenossen in qualitativer Konsistenz übertrifft. Beachtlich wirkt dabei vor allem seine Hingabe zu profunden Themen, die bereits seit seinen ersten Spielfilmen eine essenzielle Rolle spielten und sich konsequent bis heute durchziehen – sei es die Beobachtung familiärer Strukturen und Destruktionen; die Konzentration und Kontrolle von Umständen, Orten und Gefühlen zu Implosionen und Explosionen im persönlichen bis nationalen Rahmen; die unbedingte Sehnsucht zur Empathie oder auch die verzweifelte Flucht vor Schuld und Angst in alternative Realitäten.

Die formal und inhaltlich ausgezeichnete Integration dieser Gefühlswelten in Geschichten aus den unterschiedlichsten Zeiten und Sozialstrukturen macht ein Werk aus, das Genres von Vampiren, Gangstern bis Pistoleros bereichern oder für ein Abbild bundesdeutscher Zustände sorgen kann – immer persönlich, mit ruhiger Hand gefühlsbetont und technisch versiert wie kaum ein Zweiter. Was zunächst als atmosphärische Veräußerlichung von Gefühlen begann, wuchs im Laufe der Jahre zu einem konsequenten Charakterkino an, das seine Inszenierung virtuos auf die Wechselwirkung innerer und äußerer Zustände einstellen sowie narrative Erzählarten durch Bild und Wort in Choreografien vereinen konnte, die niemals gefällig waren und ihre Eskalationen fern des behaupteten Affekts ausübten. Es ist oft die Stille, die im reichhaltigen Werk von Geißendörfer Erschütterung herauf beschwört – auch durch sein Prinzip der Verklärung und seinen ungebändigten Wunsch zur Menschlichkeit, der von den Umständen bedroht wird.

Wie universell diese Gefühlsnähe abseits ihrer jeweiligen Entstehungsära wirkt, kann man inzwischen durch einige im Heimkino veröffentlichte Filme seinerseits feststellen. Doch es gibt genug, die in Archiven und Sendeanstalten auf ihre Wiederentdeckung warten und einen Teil der deutschen Filmgeschichte repräsentieren, der in seiner Kraft und Ausdauer wichtiger ist, als viele glauben. Aus diesem Grund haben wir alle siebzehn Spielfilme sowie alle Episoden der Serie „Lobster“ von Hans W. Geißendörfer besprochen und wurden freundlicherweise durch die Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion KG unterstützt, die uns unzugängliche Filme bereitstellte. Wir freuen uns, Euch somit einen kompletten Überblick über das Werk des Regisseurs präsentieren zu dürfen und ein Interesse zu wecken, das ihn in Zukunft nicht bloß als Erfinder der „Lindenstraße“ identifiziert, sondern ebenso als jenes außergewöhnliches Talent hinter Filmen wie „Jonathan“, „Die gläserne Zelle“, „Ediths Tagebuch“, „Gudrun“ und vielen mehr.

Überblick

Kritik

Bumerang – Bumerang

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1989)

Befremdliche Zeitkapsel: Hans W. Geißendörfer vermengt Politik und leichtherzigen Zeitgeist zum doppelten Bumerang.

Kritik

Carlos

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1971)

Pessimismus unter heißer Sonne: Hans W. Geißendörfers Western hofft auf Sehnsucht, aber zerbricht am Leiden.

Kritik

Der Fall Lena Christ

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1970)

Psychogramm eines Missbrauchs: Hans W. Geißendörfers Debüt rekonstruiert einen Leidensweg im Delirium der Tristesse.

Kritik

Der Zauberberg

Hans W. Geissendörfer, Österreich (1982)

An der Spitze des Abgrunds: In Hans W. Geißendörfers Epos der Isolation dreht sich die Lust zur Krankheit um die eigene Achse.

Kritik

Die Eltern

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1974)

Der Umgang mit dem Kinde: Hans W. Geißendörfer erbaut eine unheimliche Wundertüte um das Wohlergehen der kleinen Ann.

Kritik

Die gläserne Zelle

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1978)

Überwachungsstaat im Inneren: Hans W. Geißendörfers Spannungsstück der Rückkehr bringt die Unschuld in Bedrängnis.

Kritik

Die Wildente

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1976)

Konsequenzen der Intervention: Hans W. Geißendörfers soziales Drama wägt die Klassen im empathischen Schockzustand ab.

Kritik

Ediths Tagebuch

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1983)

Verklärung der Liebe wegen: Hans W. Geißendörfers krasses Psychogramm des Selbstbetrugs zerwirbelt den Wohlstand.

Kritik

Eine Rose für Jane

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1970)

Der Fluch der Selbstkontrolle: Hans W. Geißendörfer beobachtet entmenschlichte Routinen am Beispiel der Gangster und Killer.

Kritik

Gudrun

Hans W. Geissendörfer, Deutschland (1992)

Die Vergänglichkeit des Friedens: Hans W. Geißendörfer beheimatet den Zweiten Weltkrieg und lässt in aller Stille alles hören.

Kritik

In der Welt habt ihr Angst

Hans W. Geissendörfer, Deutschland (2011)

Für das Verständnis auf der Flucht: Hans W. Geißendörfer durchläuft seine Themenvielfalt wie Heroinjunkies auf der Überholspur.

Kritik

Jonathan

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1970)

Traumlandschaft der Vampire: Hans W. Geißendörfers zweiter Spielfilm lässt die Sinne die Dimensionen des Horrors erkunden.

Kritik

Justiz

Hans W. Geissendörfer, Deutschland (1993)

Irrtümer der Gerechtigkeit: Hans W. Geißendörfers moralischer Thriller redet der Wahrnehmung der Wahrheit ins Gewissen.

Serie

Lobster (1-3)

Hans W. Geißendörfer, Westdeutschland (1976)

Der Privatdetektiv der Herzen: Hans W. Geißendörfers Variante des Schnüfflers operiert mit Empathie, statt mit Räuberpistolen.

Serie

Lobster (4-6)

Hans W. Geißendörfer, Westdeutschland (1976)

Schnüffler gegen das Genre: Hans W. Geißendörfer umgeht die Konventionen des Krimis oder verzerrt diese zum absurden Extrem.

Kritik

Marie

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1972)

Die innere Verwüstung: Hans W. Geißendörfer erbaut Geheimnisse gegenüber einer verschlossenen Protagonistin.

Kritik

Perahim – Die zweite Chance

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1974)

Keine Ruhe im Untergrund: Hans W. Geißendörfer fühlt mit dem Gangster am Abgrund, den seine Vergangenheit verfolgt.

Kritik

Schneeland

Hans W. Geissendörfer, Deutschland (2005)

Die Eiswüste verschlingt die Zeit: Hans W. Geißendörfer entwirft Geschichten eines parallelen Leids in schwedischer Kälte.

Kritik

Sternsteinhof

Hans W. Geissendörfer, Westdeutschland (1976)

Melodram der Rücksichtslosigkeit: Hans W. Geißendörfers Version eines Heimatfilms legt die Ader unmenschlicher Provinzialität frei.

Meinungen

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