Ah, Bella Italia! Da reißt es arme Fahrradfahrer noch in den Tod, weil es sich mit einer dekadenten Geländelimousine inklusive des obligatorischen „Fuck You“-Aufklebers an der Heckschürze schöner rasen lässt. Paolo Virzì dröselt in „Human Capital“ nach dem Roman von Stephen Amidon eben jenes Malheur zu einer mal bornierten mal satirischen As­sem­b­la­ge zweier italienischer Familien auf: Die eine – Mittelstandsarm – manövriert sich in die Gemächer der anderen – Wohlstandsreich –, um ihr wenigstens den einen winzigen Krümel des monetären, kapitalistischen Vermögens noch abzuluchsen. Obwohl Humankapital im Versicherungswortschatz den Wert eines Opfers für den nachfolgenden Schadensersatzanspruch tituliert, manövriert Virzì Begriff und Funktion in ein Kabinett-, aber nie Kammerspiel über das Erklimmen der sozialen Leiter in drei Akten mit drei gesonderten Perspektiven zuzüglich eröffnendem Pro- und schließendem Epilog.

Da „Human Capital“ sich aber vielmehr für seine konfusen und zudem unliebsamen Archetypen interessiert (Fabrizio Bentivoglio mimt beispielsweise das schmierige Plappermaul Dino), krönt die politische Brodelei nach dem Dénouement nicht die Kátharsis (obwohl zunächst ungedeutet), sondern springt zurück zur Perspektive um die jugendliche Serena (sympathisch: Matilde Gioli). Bei ihr allerdings geht es nicht vorrangig um Geld oder existenzielle Geschäftsbeziehungen: Status bedeutet für sie einzig die Freiheit, abseits der Maschinerie nach ihren Regeln zu leben. Eine süße Liebe folgt. Darunter übersetzt Virzì die Phänomenologie der Gier aber weiter, bis sich diese immer mehr im Kreis dreht. Nicht etwa, weil dem Drehbuch von Paolo Virzì, Francesco Bruni und Francesco Piccolo der Stoff ausgehen würde, sondern weil der Stoff keine Erklärungsnot folgen lässt, da er selbst kleinste Geheimnisse mit seiner ansprechenden visuellen Schleuder ins Nirwana schießt.

Für dieses Bankett der Spießigkeiten über Leben, Geld und Tod gewann Paolo Virzì trotzdem den David di Donatello für den Besten italienischen Film des Jahres 2014. Wäre „Human Capital“ Pfeffer und Salz für ein System, welches arme Schlucker in falsch-optimistische Prognosen von Renditen wirft, so würde es hier nicht nur in vielen musikalischen Reminiszenzen an den amerikanischen Komponisten Thomas Newman ordentlich knallen. Dafür spuken die Töne bei Carlo Virzì zu wenig.

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