Mumbai, Indien: Ein psychopathischer Serienkiller schlägt mit einer Eisenstange so lange auf seine Opfer ein, bis sie in ihren Blutlachen sterben. Ohne Rücksicht auf die eigene Familie zerschlägt er Menschen, teils willkürlich, teils geplant. Anurag Kashyaps Thriller „Psycho Raman“ fängt zugleich brutal als auch düster an, die Protagonisten Raman (Nawazuddin Siddiqui) und Raghav (Vicky Kaushal) werden bereits in den ersten Sequenzen vereint, ohne dass sie miteinander konfrontiert werden. Die beiden Namen ergeben den Alternativtitel „Raman Raghav 2.0“, da der Film auf den in den Sechzigern mordenden Raman Raghav zurückgeht, nur dass dessen Story von Kashyap in die heutige Zeit versetzt wird.
Interessant an der Charakterbildung ist, dass Raman wegen seiner konkreten und ihm bewussten Mordlust psychopathische Züge aufweist, die bei vergleichbaren Figuren häufig als krankhaft eingestuft werden. Er jedoch stellt sich von Anfang an der Polizei und wird zunächst nicht ernst genommen, versteckt sich nicht hinter einem Ideal oder einer Religion, braucht keine Ausrede der Affektivität, sondern erklärt manche seiner Morde damit, dass ihm der hinduistische Gott des Todes, Yama, Befehle erteilt, die er nur zu gerne ausführt. Es seien aber seine Entscheidungen, die unabhängig seiner Eingebungen zu den Grausamkeiten führen. Der Unterschied zu vielen anderen Serienmördern-Porträts ist auch, dass Raman nicht den Eindruck erweckt, er wäre ein Gejagter, nein, er verfolgt die Polizei und damit sich selbst. Dass er, ohne mit den Wimpern zu zucken, die eigene Schwester, den Schwager und deren gemeinsamen, sechs Jahre alten Sohn umbringt, nur weil sie ihm zu wenig Respekt entgegenbringen, sagt viel über seinen Charakter aus: Sein geschädigtes Geltungsbedürfnis gleicht er mit dem Gefühl des Übermächtigseins im Moment des Tötens aus. Er gibt offen zu, dass er Lust habe, Menschen umzubringen.
Raman observiert seinen Gegenspieler Raghav, der ein zwielichtiger Polizist ist und eine ungerechte, indische Exekutive repräsentiert, die zu ebenso kriminellen Mitteln greift wie die Täter selbst. Selbstjustiz und Drogenprobleme lassen den Nikotin- sowie Kokainsüchtigen mehr und mehr heruntergekommen aussehen, äquivalent zu den dreckigen Slums, in denen sich die Menschenleichen seit Ramans Erscheinen häufen. Das Katz- und Maus-Spiel gelingt Kashyap größtenteils, die beharrliche Spannung zwischen beiden gibt den Ton an, obwohl mit offenen Karten gespielt wird. Kashyap hat mit Filmen wie „Gangs of Wasseypur“, „Black Friday“ und „Gulaal“ eine große Fangemeinde aufgebaut, die sich von der klischeehaften Bollywood-Schiene distanzieren möchte. Das Filmfest München leistet hierfür im Übrigen einiges, da immer wieder solche indischen Filme ins Programm kommen. Letztes Jahr konnte man beispielsweise Partho Sen-Gupta Thriller „Sunrise“, das Drama „Labour of Love“ und Chaitanya Tamhanes „Court“ sehen. Tatsächlich teilt „Psycho Raman“ die Dunkelheit mit „Sunrise“ und gesellschaftliche sowie systematische Problematiken spiegeln sich in „Court“ in ebenso schmutzigen Slums wider.
Was die drei Filme allerdings nicht gemein haben, ist der Hang zum Actionkino, der nicht selten einen hohen Stellenwert in der ästhetisierten Darstellung von Gewalt innehat. Raghav wird häufig in einer rauchend abgebrühten Pose gezeigt, die reflektive Nachdenklichkeit, die sich hinter seinen Sonnenbrillengläsern verstecken könnte, gibt jedoch dem etwas trashig angehauchten Wunsch des Macho-Gangster-Daseins nach, was einen Hip-Hop-Video-ähnlichen Touch hat und einen Tarantino- oder Rodriguez-anmutenden Gesamteindruck nach sich zieht. Im Mittelpunkt des Films steht auch Raghavs Freundin Simmy (Sobhita Dhulipala), deren Figur außer ihrer Schönheit nicht viel zu bieten hat. Sie soll eine starke weibliche Persönlichkeit sein, die den Allüren ihres Freundes standhält und gerade an diesen wortwörtlich zerbricht. Leider ist sie nicht viel mehr als ein Köder für den Zuschauer und Raman, da die durchgehend fehlende Tiefe charakterliche Tendenzen nur andeutet. Kashyap scheint aber auch nicht den Anspruch zu haben, intelligentes Kino zu machen, vielmehr legt er Wert auf eine intensive Mord- und Totschlag-Szenerie, die den entsprechenden Regeln mit einem Schuss schwarzen Humor folgt.
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