Statisch, andächtig, buchstäblich gehemmt – Alfred Hitchcocks erster amerikanischer Spielfilm „Rebecca“ ist kein Sammelbecken spitzer Bemerkungen, wohl eher eine Attrappe, pompöser Stuck und schwülstige Verzierung. Das Amerikanische darin mag kaum fassbar sein, das Ungehemmte und Gallige. Stattdessen erweist sich der Film als rein englischer Nachhall von Hitchcocks vorangegangenen britischen Werken: ebenso unerschöpfliche Kostüm- wie Dekorausreizung („Die Taverne von Jamaika“, 1939), verschlungene Wahrheitsermittlung („Die 39 Stufen“, 1935) und eine Nummernrevue auf einer Bühne, deren konspirativ miteinander verschworene Akteure ein, zwei, drei Geheimnisse zu viel bewahren und verwalten („Sabotage“, 1936). Allerdings ist „Rebecca“ insofern von entscheidendem Interesse, als dass er den psychopathologisch-märchenhaften Impetus späterer Hitchcocks wie „Sklavin des Herzens“ (1949) und, auf einer humorvollen Ebene, „Immer Ärger mit Harry“ (1955) in eine unverbrauchte, von jeglichen Ausreißern nach oben und nach unten befreite Oberfläche verwandelt, an der Hitchcock über die Jahrzehnte mit einem höheren Materialverständnis arbeiten sollte, um sie zu vertiefen. Warum aber „Rebecca“ noch heute fesselt, liegt in dessen Könnerschaft, Figur und Raum mathematisch exakt aufeinander abzustimmen.

Oft rhythmisiert ein Gegenstand, der legendenumwobene MacGuffin, die Choreografie eines Hitchcocks-Films. In „Rebecca“ entfaltet sich die Geschichte, eine Erzählung verzweifelter Sehnsüchte, um das Schlossanwesen Manderley: Gruselhaus, Schrein, Grabmal. Marion Crane verirrt sich, abseits ihres Weges, in „Psycho“ in einer viktorianischen Motelanlage. Mrs. de Winter hingegen (liebreizend devot: Joan Fontaine) gelangt, gleichfalls per Auto, zum Refugium ihres zukünftigen Ehemannes Maximilian (Laurence Olivier), wo ähnlich zu Luft erstarrte Totenmasken unzugängliche Barrieren zwischen dem, was war, und dem, was ist, aufsprengen. Verortet in einer geografisch unerreichbaren, traumwandlerischen Nachdenklichkeit, irrt Mrs. de Winter durch einen vom Tod heimgesuchten Ort als Tempel für eine ehemals verstorbene Göttin. Die räumliche Begrenzung der Kulisse – in ihr konzentriert sich der Gothic-Mystizismus einer mit dunkelromantischen Lebensresten aufgeladenen Aura – zeigt ihr, Mrs. de Winter, dass sie hier lediglich (störende) Dekoration ist, der zwar offener Freigang gewährt wird, im Gegenzug jedoch vor verschlossenen Geheimnissen steht. „Rebecca“ fühlt sich infolgedessen auch als Exposition zum thematisch weitgehend kongruenten „Verdacht“ an, den Hitchcock ein Jahr später herausbrachte (ebenfalls mit Joan Fontaine).

Manderlay, mit seinen labyrinthischen Schattencollagen, aristokratischen Sälen und leer gefegten Zimmern (nach dem Tod Rebeccas, der ersten engelsgleichen, überwältigenden Ehefrau Maximilian de Winters, ziert ein eingewebtes, eingesticktes R das Innenleben der Museumsruine) bietet es idealen Nährboden für eskalierende Obsessionen – mit „Vertigo“ erprobte sich Hitchcock 1958 an einer Vollendung dieses morbiden Themas. „Rebecca“ ist Hitchcocks „Aschenputtel“, aber gleichzeitig ist „Rebecca“ auch ein trotz seiner äußerlichen Überladenheit nicht minder eleganter Film, der forschend im Schein des Seins voranschreitet – statt Hals über Kopf preiszugeben. Es ist Rebecca, die tote Rebecca, die verführerische Rebecca, die besitzergreifende Rebecca, die über den Dingen wacht. Ihre physische Unsichtbarkeit, aber psychische Anziehungskraft transferiert Hitchcock in eine Stilsprache, die mit der Ambivalenz des Wahrnehmbaren jeden Raum des Anwesens auf ihre Erscheinung hin erforscht. Obwohl wir nichts sehen, meinen wir, Rebeccas sexuell konnotierte, maskulin-aggressive Energie zu fühlen, in den wallenden Vorhängen, in ihrer Kleidung, in ihren Spiegeln, in den irritierenden Kamerabewegungen dahin, wo nichts ist außer toter Materie, aber einmal etwas Organisches war und etwas Furchtbares seinen Lauf nahm.

Puzzleteil für Puzzleteil deckt Hitchcock dabei die Vergangenheit, die Schuld, die tödliche Wahrheit Maximilians auf, und auch wenn „Rebecca“ zu jenen überwiegend unzugänglichen Filmen des Briten zählt, die sich ihren Status mit zusammengekniffenen Augen erkauft haben, ohne mit einem lustigen Spruch auf den Lippen die Laborkühle der Emotionen abzufedern – es ist die Schnüffelnase eines neugierigen Hundes, der die Erkenntnisse in Gang setzt. Ein, wenn man so will, klassisch augenzwinkernder Hitchcock-Einfall, wie ihn auch „Geheimagent“ (1936) erstmalig hatte, und der dazu führt, dass insbesondere die zweite Filmhälfte die erste konterkariert. Urplötzlich ist aus „Rebecca“, dem Spukfilm, eine kriminalistische Spurensuche geworden. Angetrieben durch erdrückenden Verhördialog, wird der Film permanent belastender und redundanter. Das darf man kritisieren, denn „Rebecca“ verliert nach dem suggestiven Schlüsselmonolog Maximilians, der aufklärt über die wahren Zusammenhänge (siehe auch „Psycho“), viel von seiner spröden Stimmung. Wohl auch deshalb: Hitchcock und Whodunits, das sind zwei divergente Ansatzpunkte, Situationsspannung zu forcieren, die nie zueinander gepasst haben.

Die Hauptattraktion verbucht der Film vor allem aber in einem Hitchcock-Element, das, grob geschätzt, vom Stummfilm „Easy Virtue“ (1927) bis „Psycho“ (1960) reicht. Hitchcock besetzte Judith Anderson als Hausverwalterin Manderleys, die in einer Art geistiger Verbundenheit zu Rebecca als ihre diabolische Stellvertreterin Befehle erteilt und jedem ihrer (wenigen) Worte eine giftige Mahnung hinzufügt. Wenn Manderly schlussendlich abbrennt, mitsamt seiner Geschichte, die endlich ruhen kann, erlischt damit gleichzeitig Mrs. Danvers Aufgabe, über den Nachlass und Rebeccas Erbe zu urteilen und gegen Gefahr von außen zu schützen. Im Zentrum entwickelt sich der Film systematisch zur Konfrontation zwischen Mrs. Danvers und der zweiten Mrs. de Winter. Mrs. Danvers, in „Sklavin des Herzens“ feiert sie ihre Wiederauferstehung, zählt zu jenen Mutter- und Frauenfiguren Hitchcocks, die in der Regel etwas Unmenschliches, Diktatorisches und Absolutes haben, verborgen unter entstellten Gesten und toten Bewegungen. Die omnipräsente Mrs. Danvers, in Manderley lässt sie sich nie auf einen Ort reduzieren, versinnbildlicht das Gesicht des Films, ein schwebendes, körper- und fleischloses Gespenst im Körper eines Henkers. Eine Strenge in ihr, in ihm, dem Film, ist das, die unweigerlich erregt.

Meinungen

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