In „Snowpiercer“ steckt viel Potenzial, das bei Weitem nicht genutzt wurde. Ein rasender Zug in einer menschenverursachten Eiszeit stellt die einzig begehbare Welt der Übrig gebliebenem dar und bietet eine grundsätzlich extrem interessante Idee an, die auf der gleichnamigen, französischen Graphic Novel aus dem Jahr 1983 von Jean-Marc Rochette und Jacques Lob basiert. Bong Joon-ho entdeckte sie 2005 in Seoul und war angeblich so davon begeistert, dass er gleich alle drei Bände auf einmal las. Nach den Dreharbeiten zum viel gelobten „Mother“ hatte er Großes vor und schuf auch, zumindest was das Finanzielle angeht, Großes: nämlich den aufwendigsten koreanischen Film aller Zeiten. Womöglich soll dieses Werk als Brücke zwischen Hollywood und Asien dienen, nicht umsonst trägt die Vermarktung den Namen Weinstein, nicht umsonst ist er größtenteils in englischer Sprache und mit Starschauspielern wie Tilda Swinton, Chris Evans, John Hurt, Ed Harris und Jamie Bell besetzt.

Ein wirklich realitätsnahes Bild des Eiszeitspektakels gaben Trailer und Harvey Weinstein selbst nicht ab, jener suggerierte sogar eine düstere Dystopie und eine für das amerikanische Durchschnittspublikum zu anspruchsvolle Story, die einen Blockbuster hinsichtlich zumutbarer Intelligenz um ein Vielfaches übersteige. Dem ist aber nicht so, auch wenn es zuerst danach aussieht. Es sind immer dieselben Action-präferierenden Muster in schließlich immer spannungsärmer werdenden Abteilen, obwohl sich die Macher wahrlich Mühe geben, voneinander abgetrennte Welten innerhalb eines Kastensystems zu erschaffen. Propaganda hier, Tilda Swinton dort, im Grunde ist die evidente Groteske nichts weiter als Einfallslosigkeit in einer vermeintlichen Reise zum Endgegner names Wilford, der lustigerweise von Ed Harris verkörpert wird und dessen Rolle flüchtig an jene berühmte aus „Die Truman Show“ erinnert. Mit enttäuschend wenig Anspruch ist „Snowpiercer“ kein Novum, sondern reiht sich in die lange Liste der actiongeladenen, pseudointelligenten Crowdpleaser à la „Inception“ ein. Das kann man mögen, aber selbst Fans von Park Chan-wook, der hier als Produzent fungiert, werden nicht zwingend ihren Spaß haben.

Hätte man zugunsten der ausgeprägten Subtilität mehr Augenmerk auf die Hintergründe Wilfords und dessen Ziele, der natürlichen Zerspaltung der überlebenden Gesellschaft, der Naivität und Abhängigkeit der Menschen gelegt, wäre ein Schwarz-Weiß-Denken ausgeblieben. Manche Überraschungen kommen überraschend, andere wiederum sind fehlplatziert und scheitern an mangelnder Charakterzeichnung. Der postapokalyptische Zug als Perpetuum mobile, eine durchaus faszinierende Metapher für das im Kreisdrehen der Menschheit auf Kosten der Natur, bleibt am Ende noch als Einziges wirklich hängen, der Rest ist Teil eines filmischen Standarduhrwerks, das sich fortlaufend selbst mit Energie versorgt.

„Snowpiercer“ wurde als intelligentes Actiondrama gehandelt, das für die amerikanischen Bürger laut Weinstein zu anspruchsvoll sei. Dieses Kompliment ist insofern nicht nachvollziehbar, als dass aus einer vom Prinzip her interessanten Grundstory kein konsequentes Netzwerk an blühenden Verzweigungen entsteht. Bong Joon-hos fünfter Spielfilm verläuft sich in einem unpassenden Kontrast aus expliziter Gewalt und grotesker, eher lächerlich, als lustig wirkender Überzogenheit. Das ist schade, sollte eine Dystopie doch durchgängig ernst zu nehmen sein und auf Crowdpleasing verzichten, wie es „1984“ und „Brazil“ schon vorgemacht haben. Dass John Hurt als veraltender Guru der revolutionären Armen den Namen Gilliam erhält, ist dann auch nicht weiter verwunderlich. Bildgewaltig und vorbildlich choreographiert bedient die koreanische Post-Apokalypse den gewöhnlichen Actionliebhaber, scheitert aber daran, ein Aushängeschild für anspruchsvolles Actionkino zu werden.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Chris
14. April 2014
09:56 Uhr

Sehr gut auf den Punkt gebracht: Viel Potential (auch durch die Vorlage), das nicht genutzt. Die vielen Versatzstücke aus scheinbar beiläufig hinzugefügten Nebenhandlungen, die allesamt nicht unter einen Hut zu bringen sind, hinterlassen auch bei mir einen schalen Nachgeschmack. Eine Postapokalypse mit so unpassend Comicartig überzeichneten Figuren wie Swintons hab ich seit dem Postman nicht mehr gesehen, das war dann auch gleich die erste große Enttäuschung.

Vielleicht hätte ich meine Erwartungshaltung, die ja durch die monatelange Verzögerung nur weiter geschürt wurde, doch gravierend runterschrauben müssen, um nur einigermaßen zufrieden sein zu können.

Na mal schauen ob die anderen beiden aufstrebenden Sci-Fi-Hoffnungsträger in meinem derzeitigen Filmfokus, Gareth Edwards und Mike Cahill, ihre Sache besser machen.

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