Wie unkompliziert schmiedete Blofeld bloß früher die fantasievollsten Zersetzungskonzepte, wie erschreckend strukturbedacht. Er transzendierte mit schockgefrostetem Charme und pathologischem Pathos seinen Part als Kinoirrer, als Intimfeind, als Nemesis von James Bond, dem erfolgreichsten Doppelnull-Agenten Ihrer Majestät, als Eminenz aberwitziger Hybris. Er sprach wenig, durchdachte im Hintergrund die Falltüren des weltzerstörerischen Schlachtplans, streichelte Katzen und beförderte unliebsame Mitarbeiter dorthin, wo sie für immer still sein werden. Blofeld war eine Chiffre, ein Quellcode, eine Stütze für die ideologische Mythologie einer jahrzehntelangen Kinoreihe, die wie eh und je bedacht ist, sich am Zeitgeist neu auszurichten. Nun ist es aber gerade dieser neue Zeitgeist im 21. Jahrhundert, der, gemeinsam mit Blofeld, nicht (mehr) der Fallhöhe des Zwischendeutlichen zuarbeitet: Christoph Waltz’ Hans-Landa-grimassierender Blofeld spricht, und das ist allzu exemplarisch, viel – viel Prophetisches, viel Trockenes, viel, leider, Konkretes – und befehligt eine Armee an IT-Spezialisten in einem Meteoritenkrater, das System zu unterwandern. Allerdings ist dieser von Waltz ansatzweise schauerlich-magisch gestaltete Blofeld nur die Nachwehe eines Retortenimitats, verwurzelt in einem botschaftsbesessenen Kino moderner Prägung, das den Bösewicht immer wieder einordnen muss in eine verschüttete Familienchronik von nahezu kosmischer Reichweite. Blofeld muss den Schatten hinter sich lassen, und das möglichst in seinem wenn nicht ersten, so doch mindestens zweiten Auftritt. Der neue James-Bond-Film „Spectre“ illustriert das Dilemma des postmodernen Kriegers, psychologisch gefestigt sein zu müssen.
Die daher hervorgehende Hüftsteifheit, aus absolutem Ernst, theatralischer Zusammenhangswut und zähneknirschender Kontrolle den Frohsinn an der Verschwendung auszulassen, die auch „Skyfall“, den Vorgänger, einstweilen überlagerte, kulminiert in „Spectre“ vollends. Freilich bewegte sich das James-Bond-Franchise stets im Wandel der Zeit, aber in keinem Beitrag überträgt sich diese These tatsächlich eingängiger als auf „Spectre“. Der Film ist ein unangenehmer Streber seiner Konvention, ihm fehlt deutlich der visuelle Geist Roger Deakins’, die freche Ironie Roger Moores und die gallige Technikpoesie Lewis Gilberts abseits allen Digitalmatsches, ihm fehlen Impulse der Auslassung, ihm mangelt es an kreativer Eigenleistung. An Stelle dessen wirkt Daniel Craigs charakterliche Altersmüdigkeit (vgl. „Im Angesicht des Todes“) und Sam Mendes’ inszenatorische Biederkeit, gezwungenermaßen einen weiteren Bond-Film aufgedrückt bekommen zu haben, wie die Ausreden vor einer Lüge, anstatt im Strandurlaub zu entspannen, eher in einem Kurort für Rentner abzusitzen. „Spectre“ liefert Emotionen in einer Sparverpackung, ist dabei aber so kreuzbrav nach Maßstab getrimmt, dass man ihm seltsamerweise weder böse noch nachtragend sein kann. In seinem Bewusstsein des Happenings, altmodisch Schauplatz für Schauplatz sprunghaft beiseite zu wischen (ohne Zweifel: die zweitbeste Eröffnungssequenz der Ära Craig spielt in Mexiko-Stadt), erreicht das 24. offizielle Bond-Abenteuer, immerhin, die niedrigste Anforderung eskapistisch kurzweiliger (Bond-)Unterhaltung. Dass diese sich jedoch nicht natürlich ergibt, sondern gezielt angestoßen wird, passt ins Bild (des hehre Absichten verfolgenden Schwiegersohns bei der ersten Abendgarnitur).
Insofern hat Mendes’ zweiter aufeinanderfolgender Franchise-Eintrag durchaus seine vergnüglichen Momente und Augenblicke entzückender Atmosphäre – zum Beispiel ein mystisch beladenes Spectre-Treffen sowie eine beschleunigt-entschleunigte Verfolgungsjagd in Rom, Österreichs Schnee ebenso wie schillernde Panoramen. Dies alles speist sich gleichwohl meistens aus der zweiten (postmodernen) Unannehmlichkeit, derer sich der Film gewiss ist. Wenn jede Geschichte bereits erzählt wurde, bleibt nur noch die Geschichte über Geschichten und die Geschichte aus Geschichte übrig: „Spectre“ zitiert sich ausgiebig durch „Liebesgrüße aus Moskau“ (ein schmerzunempfindlicher Donald-Grant-Verschnitt, eine Zugprügelei) und „Goldfinger“ (eine Laserfolter), adaptiert deren sexistischen Kitsch, nach der Gefahr im Bett zu landen, gleich mit und wühlt sogar in „Casino Royale“ (mit dem Eva-Green-Gedächtnisauftritt), was schlussendlich dazu beiträgt, dass die inhaltliche Originalität Grenzen zieht, die geringen Raum für Transzendenz offen lässt. Obgleich Thomas Newmans pompöses Orchester Anspruch, Tiefe und Gedankenkraft vorgaukelt, zerbröselt das Drehbuch jeden Apparativ von inhaltlicher Konzentration. Dies ist kein Bond-Film über Cyberkriminalität, Überwachungsparagrafen, tote Helden (da, auch, ihre Entmystifizierung, ihre Überwachung voranschreitet) und deren umso lebendigere Vergangenheit – dies ist quasi ein Bond-Film über Bond-Filme, über das Fachvokabular der Bond-Formel, seriell weitererzählt, schließlich über die Postmoderne generell, die manchmal eine mausgraue und enervierende Tristheit ausstrahlt. „Spectre“ will klassisch sein, gewiss – in Wahrheit aber ist er, das Blofeld-Problem, wahrlich viel zu klassisch, viel zu gezwungen klassisch.
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