Gespenstische, teuflische Masken und Fratzen dekorieren die zentrale Frage: Was geschah wirklich mit Baby Jane? Robert Aldrichs neurotische Vergangenheitsermittlung in den eigenen vier Wänden ergötzt sich an diesen gespenstischen, teuflischen Masken. Gesättigt ist die Kamera nie von diesen künstlich verzerrten Mienen, sondern giert nach ihnen und wird geleitet von einer vorangestellten Hässlichkeit. Das Gesicht Bette Davis’ zählt zu dieser Hässlichkeit und Fratzenhaftigkeit. Es wird solange puppenhaft entstellt, bis das Kind und der Erfolg des Lebens von einst in diesen Plastikfurchen auf ewig konserviert zu sein scheint. Dies ist zweifellos eine absonderliche Form der Eitelkeit, und Davis spielt ebenso manisch wie ausladend eine mechanisch bewegbare Puppe aus einer anderen Zeit, die in der Moderne allmählich im Spielzeuggeschäft ersetzt wird, sich dem Schicksal aber mit aller (psychologischen) Gewalt entgegenstellt. Mit Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ teilt Aldrichs Werk hierin das Ausrangieren eines Stars am Himmel, der nicht mehr gebraucht wird und folglich erlischt.

Die Geschichte über eine Freundschaft, die eine hätte werden können, wäre sie nicht ins Gegenteil gekippt, siedelt der Amerikaner in einem pathologischen Horrorfilm an, dessen familiäre Strukturen er mithilfe der Alltäglichkeit des Gebrauchsgegenstandes stückweise zersetzt – die betäubende Klingel, das unerreichbare Telefon und verschlossene Türen geleiten expressiv in den Wahnsinn. Joan Crawford und Bette Davis verkörpern hierbei einen von Niedertracht und Eifersucht belagerten, aber voneinander abhängigen Zickenkrieg in unwiderstehlich keifender, animalischer Schönheit, als gelte es, einen Wettkampf der Bösartigkeit auszutragen. In der Familie wirkt alles viel grausamer und endgültiger, der Terror, die niederen Gefühle und die aufgestaute Hassliebe, und mit dieser Quintessenz betreibt Aldrich ein perfides, destruktives Figurenkarussell, dessen Regeln er permanent bricht, obwohl er des Rätsels Lösung keineswegs versteckt (einschließlich eines breitschultrigen Muttersöhnchens, das, einem unlogisch konstruierten Drehbuchkniff sei Dank, die Flucht ergreift, als es hinter das gehütete Geheimnis jener Schwestern kommt).

„Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ erweist sich trotz einiger weiterer nicht nachvollziehbarer figurativer Reaktionen (das Hausmädchen legt ausgerechnet ihren Hammer weg, als sie das Zimmer mit der gefesselten Blanche betritt) als Musterbeispiel der Suggestion im Unterbewusstsein. Voll an Widersprüchen, filigran ausgearbeiteten Suspense-Momenten und ambivalenten Gefühlen, gelingt es dem Film fernab der theatralischen Schauspielopernhaftigkeit, sich ganz seiner antithetisch organisierten Metaphorik hinzugeben und formale Stilbrüche als Teil davon zu verstehen. Sie, die Stilbrüche, benötigen keine einleitenden Erklärmuster, kontrastieren aber Interieurs und Exterieurs in ihrem Charakter bemerkenswert formschön. Die grelle Sonne draußen verträgt sich stellvertretend dafür kaum mit den düsteren Schatten drinnen, die Weite, die Freiheit des kalifornischen Strandes ebenso wenig mit der Enge, der Gefangenschaft in einer totalitären Festung, deren Fenster aus verschnörkelten Gitterstäben zusammengehalten werden, ein Euphemismus für reale Gefängniszustände. Bizarr tastet sich Aldrich in diesen brutalen Stimmungsschwankungen voran, bis zur finalen, melancholisch-intimen Auflösung, die sich rudimentär jedoch durch den gesamten Film schlängelte und sich anbot, spätestens nach dem anfänglichen Bilderrätsel eines verhängnisvollen Unfalls entdeckt zu werden.

Aldrich führt den Zuschauer deshalb an der Nase herum. Etwas Irritierendes hat das, denn man meint, etwas wahrzunehmen, ohne es genau zu benennen. Verstärkt wird dieser Eindruck in den surrealen Kostümen und Requisiten im bedrohlichen Zusammenspiel einer aktiven Hexe und passiven Prinzessinnenfigur, bei denen Aldrich die ihnen zugewiesenen Farben umkehrt: ein unschuldiges, reines Weiß für die Hexe (Davis), ein depressives, totes Schwarz für die Identifikationsfigur (Crawford). Ein unterschwelliges Gefühl der Täuschung resultiert bereits sehr früh daraus. Mit der Rollenverteilung kann nicht viel stimmen. Aber Aldrich verschleiert den Schwindel hintersinnig raffiniert, denn die schlussendlich offengelegte Wendung, die eigentlich bekannt sein sollte, kulminiert stattdessen in der Bestürzung über die Wahrheit und Frage, warum man es nicht vorher durchschaut hat. Gefühlt hatte man es. Irgendwie. Die Attrappe, die Maske war zu dick.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

anne barry
5. Dezember 2013
20:04 Uhr

Sehr detailliert, stimmung des filmes und die atmoshärisch eingesetzen hell-dunkel-kontraste blieben mir noch lange in erinnerung. treffende filmkritik!!!

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