Abgeschlossen mit dem Leben, sitzen sich zwei Männer gegenüber: der Vater und der Sohn. Einer von beiden wird sich das Leben nehmen, der andere auf eine neue Reise gehen, die sein Leben ändern wird. In einem Diner erschießt sich der Vater letztendlich auf der Toilette. Der Sohn hingegen nimmt sich das vererbte Cabriolet und fährt gen Süden. Das Ende wird ein Anfang, sodass der Sohn die Möglichkeit haben wird, zu verbessern, was seinem Vater an dessen Leben missfiel: Perspektivlosigkeit, Monotonie und Herabsetzung. Doch die Odyssee in den Süden wird zu einem Wettrennen um Freiheit, die es sich zu erkämpfen gilt. Nicht selten blickt der Protagonist Taisto (Turo Pajala) mit leerem Blick und glühender Zigarette in die Kamera, meistens sitzt er dabei am Steuer seines weißen Cabriolets. Er weiß weder wohin ihn sein Weg wirklich führen soll, noch was er sich erwartet.

Einen Wendepunkt erfährt Taisto, als er eine Politesse kennenlernt, die ihm gerade einen Strafzettel für Falschparken schreibt – an seinem Cabrio. Doch anstatt diesen auszuhändigen, verlangt sie ein Abendessen mit ihm. Nach dem Sex stellen sie sich einander vor. Ihr Name ist Irmeli (Susanna Haavisto), sie hat einen Sohn und lebt geschieden von ihrem Mann. Taisto wird für immer bei ihr bleiben wollen. Es ist eine eigens arrangierte Beziehung. Die Angst vor dem Alleinsein und dem Versagen hält sie zusammen. Da ist keine wirkliche Liebe oder Zuneigung. Es fanden sich zwei verlorene Seelen, die sich aneinander klammern. Etwas, was Taisto immer mehr ins Verderben stürzen wird. Denn Taistos Weg in die Freiheit endet im Gefängnis – unschuldig natürlich. Der arme kleine Mann, das Opfer der Justiz und der Gesellschaft. Findet er gerade etwas Glück im Leben, wird er dessen entrissen und muss sich von allem verabschieden, was er sich einst erhoffte. Doch er ist nicht bereit seinem Glück zu entsagen und wagt die Flucht mit seinem Zellengenossen Mikkonen.

Mit dem Tod des Vaters gelangt Taisto an die Möglichkeit zu entkommen. Das Cabriolet, die letzte Hinterlassenschaft seines Vaters, hat keinen emotionalen Wert für ihn, es dient nur dem Mittel zum Zweck. Als Taisto allerdings einmal anhält, versucht, das Verdeck zu schließen und dabei scheitert, ergibt sich eine Analogie zu seinem Leben: Er ist der Kälte schutzlos ausgeliefert, muss sich durchbeißen und alles ertragen. Er sieht die Funktionalität am Auto und Leben nicht. Erst als Mikkonen blutend in seinem Auto liegt, erkennt er, dass ein einfacher Knopfdruck genügt, um sich zu schützen. So sind es die Menschen gewohnt, alles Übel in Kauf zu nehmen, zu kämpfen und die widrigsten Bedingungen zu ertragen. Das ist Aki Kaurismäkis tragischer Humor. Er lässt seine Protagonisten leiden, um sie am Ende zu befreien. Das ist nicht nur menschenverachtend, sondern auch gleichsam die bittere Essenz, wie sich Kaurismäki das Leben und die Kluft zwischen den Individuen vorstellt. Niemand bekommt etwas geschenkt, ein jeder muss sich aus dem kämpfen, was ihn zurück hält. Es gibt keine Möglichkeiten, das Böse abzuwenden. Man kann es nur bekämpfen.

Als zweiter Teil der „proletarischen Trilogie“ geht Kaurismäki in „Ariel“ einen Schritt weiter und lässt seinen Protagonisten noch tiefer fallen, aber gleichsam auch noch höher aufsteigen. Wieder ist es ein Schiff, welches vor einem schlimmen Schicksal rettet. Wieder finden zwei Menschen zueinander. Kaurismäkis Geschichten des einfachen finnischen Mannes sind gleich und doch beinhalten sie eine Individualität, die sich, wie jedes einzelne Individuum auf diesem Planeten, durch offensichtliche Gemeinsamkeiten zusammenfügen, aber auch durch ihre natürliche Einzigartigkeit soweit unterscheiden lassen, dass es niemals dieselbe Geschichte sein wird. Anders als im ersten Teil der Trilogie „Schatten im Paradies“ ist es nicht die Geschichte einer Liebe, sondern das Erzählen und Erleben eines einzelnen Mannes, der ein neues Leben beginnt. Dabei beobachtet man den Fall, das Aufstehen als auch das Stagnieren des Protagonisten Taisto. Dieser lebensbejahende, kämpfende Mann, der aus dem Morast seines Lebens aufsteht und mit offenem Verdeck all jenem den Rücken zukehrt, was ihn einst herunterzog. Ein niemals aufgebender, für sein Glück ein stehender Mann, ist bei Kaurismäki aber auch nur ein Fußabtreter, der erst alles verlieren muss, bevor er irgendetwas gewinnt. Verlust ist für Kaurismäki Voraussetzung des Glücks.

Kaurismäkis Odyssee und Parabel des Proletariats verliert sich in seinem Realismusanspruch. Zu oft sieht sich Taisto den unmöglichsten Begebenheiten gegenüber und widerspricht der Intention seiner Reise: Aus dem Leben gegriffen ist hier nichts, dafür erzählt Kaurismäki ein Märchen von Verlierern und bleibt zu sehr auf Distanz zu seinen Figuren. Das erklärt er filmisch mit der Abstraktion Finnlands, projiziert aber seine Umwelt auf die wichtigen, eigenständig handelnden Menschen in seinem Film und bleibt so in einer einseitigen, obgleich auch nachvollziehbaren Betrachtung hängen. Taistos Leben ist wie die Straßen, auf denen er mit seinem weißen Cabriolet fährt: Die wendigen und scharfen Kurven kommen meist aus dem Nichts und bringen die Fahrt ins Schleudern. Doch mit genug Standhaftigkeit, kann die Fahrt fortgesetzt werden.

Meinungen

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