Warum sollte man unter heutigen Bedingungen noch „Casper“, die Realverfilmung eines beinahe vergessenen Cartoons, sichten? Die brandaktuelle Blu-ray-Veröffentlichung ist zwar ein geeigneter Anlass, doch abseits nostalgischer Gefühle dürfte wenig Motivation vorhanden sein, sich diesem Artefakt der Neunziger zu widmen. Das Herzstück des Films präsentiert allerdings ziemlich effektiv, welch Zauber eine derartige Rückbesinnung auf Erinnerungen bereithält. Wie Regisseur Brad Silberlings freimütiges Regelwerk des Geisterdaseins offenbart, haben diese nach ihrem Ableben gezwungenermaßen keinerlei Sinn mehr für ihre Vergangenheit und harren daher als spukende Erscheinungen auf der Erde aus, da „Unerledigtes“ sie noch im Zwischenstadium zum Jenseits hält. Diesen Umstand gilt es, im Verlauf des Films aufzulösen. Der erste Auslöser dafür ist die habgierige Carrigan Crittenden (Cathy Moriarty), welche eine verlassene Villa in der Kleinstadt Friendship in Maine geerbt hat und dort mit ihrem trotteligen Assistent Dibbs (Eric Idle) einen Goldschatz vermutet. Nun ist der Haussitz allerdings nicht nur vom freundlichsten Geist überhaupt, Casper, besetzt, sondern auch von seinen drei stänkernden Onkeln, Stretch, Fatso und Stinky.

Die widerstehen allen Akquirierungsbemühungen mit Späßen, gegen die weder Hobby-Exorzisten noch ein Cameo von Dan Aykroyd als Ghostbuster etwas ausrichten können. An dieser Stelle versteht der Film reichlich Spaß, mit Frechheit und gut pointierten Comic-Gags die Stimmung zu halten. Zusätzlich schafft die kindliche Kombination der Geisterschlossentdeckung mit Fantasy-Effekten eine Verspieltheit, die im Einklang mit der suburbanen Atmosphäre für heimeliges Ambiente sorgt. Schon deshalb kommt man gerne zu diesem Film zurück; vor allem, wenn man ihn noch aus der Kindheit kennt. Per Zufall geschieht das sicherlich nicht, ist diese klassische Amblin-Produktion doch durch und durch ein Spielberg-Produkt und dementsprechend gefühlsbetont. Deshalb zieht ein anderes Pärchen im Auftrag von Miss Crittenden ins Anwesen ein, welches sich wirklich um die Belange der spirituellen Bewohner kümmern will: Dr. James Harvey (Bill Pullman) – seines Zeichens selbst ernannter Geister-Psychologe – und seine Tochter Kathy (Christina Ricci).

Papa Harvey ist ein liebenswerter Kauz, der diesen obskuren Beruf nur verfolgt, um vielleicht noch einmal mit seiner toten Frau in Kontakt treten zu können. Kathy hingegen glaubt nicht wirklich an Gespenster, steht ihrem Vater aber bei, während die Beiden quasi als Freelancer durch die Lande ziehen und sie dementsprechend wenig Anschluss an Kinder ihres Alters findet. Wohl deshalb ist der ebenfalls ausgeschlossene Casper drauf und dran, ihre Bekanntschaft zu machen. Sein Drang, eine Freundin haben zu wollen, mag für Kinderaugen als naive Selbstverständlichkeit hingenommen werden, für Erwachsene dürften die Avancen des Geisterjungen hingegen eher gruselig wirken, da hier beinahe Stalker-Mechanismen romantisch verniedlicht werden. „Darf ich dich behalten?“, flüstert er ihr so einmal zu, während sie in seinem Bett schlummert. Man muss eben schon ein gewisses Maß an Unschuld für diesen Film mitbringen. Eine gute Hilfe dazu ist der stets währende Humor, bei dem unter anderem die drei Onkel Caspers ihren neuen Therapeuten Harvey mit Verwandlungslist und Wortspielterror auf dem Laufenden halten, wobei sie derartig oft nach vorne zur Kamera schnellen, als ob „Casper“ als 3-D-Film geplant war.

Gleichzeitig hält sich das Narrativ auch mit Kathy bei ihrer neuen Schulklasse auf, in der sie für einen tollen Typen schmachtet (was Caspers Eifersucht auf den Plan bringt) und dennoch als Außenseiter verballhornt wird. Immerhin entschließt man sich, die große Halloween-Party in ihrem neuen Zuhause abzuhalten, was eine Menge uriger Streiche verspricht. Da die geschmeidige, doch (mehr oder weniger vorteilhaft) facettenreiche Konstruktion des Films aber lieber charaktertechnisch Fuß fassen will, werden die Slapstick-Einlagen seltener und die Sehnsucht nach der Vermenschlichung und Erinnerung des Geistes immer stärker. Kathy übernimmt in dieser Hinsicht auch die Funktion ihres Vaters und hilft Casper, sich an seine kurze Kindheit zu erinnern, Sterblichkeit zu verstehen und eine Option zur Wiederbelebung auszugraben. Caspers Vater hat nämlich eine Maschine in den Katakomben des Hauses geschaffen, die durch einen fantasievollen Apparat (ähnlich einer Freizeitparkattraktion inszeniert) in Betrieb genommen wird. Silberlings Film überrascht immer wieder aufs Neue, wie viele narrative Elemente noch zusammenkommen können.

Dieser Umstand vermittelt einen Drang, den Zuschauer ständig bei Laune halten zu müssen, was der jungen Zielgruppe recht sein mag, der emotionalen Reise des Films aber auch den Wind aus den Segeln nimmt. Was nämlich an tragischer Stärke im Umgang mit dem Konzept Tod versucht und mit Empathie begegnet wird, wird im nächsten Moment von arg grellem Geisterhumor entlastet, was durch das Einschreiten der beinahe vergessenen Antagonistin Crittenden zusätzlich verkompliziert und nie homogen aufgelöst wird. Die traumartige Kulmination der ersehnten Menschwerdung und Versöhnung zum Übernatürlichen hält aber dann doch eine filmische Wunscherfüllung bereit, die mit ehrlichem Familienzucker aufwartet und zum Taschentuch greifen lässt. James Horner packt dafür seine beste Danny-Elfman-Imitation aus, Kulleraugen in Nahaufnahme verdrängen alle nur kurz gefassten Charakterentwicklungen und ein Engel entlässt zugunsten ewig währender Liebe das stete Ringen des gereiften Zuschauers um Plausibilität. Wie man sich doch wohlfühlt, wieder bei solch einem süßen Film angekommen zu sein.

Meinungen

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