Der Exzess des Horrorfilms gilt seinen bestellten Ingredienzen: den Schaukelstühlen, die von selbst über Böden donnern, mit Brettern vernagelten Räumen, schwingenden Glühbirnen, Vögeln, die mit befreiter Selbstverständlichkeit gegen Fenster hageln, unheimlichen Puppen mit grotesken Gesichtern, Kindern in langen Nachthemden und Clowns, die aus Springteufeln wie einem Gewaltakt fahren. Doch die Urerzählungen des modernen Horrors formten sich nicht aus bewusst gedachter Zeitlosigkeit, in denen die Gänsehaut mit immer neuen abartigen Praktiken und Schlupflöchern des Bösen erobert werden musste; sie formten sich aus der Banalität des Alltags und den zappelnden Albträumen der biederen Wohlstandsgesellschaft, die auch jenseits des Atlantiks von Nachkommen glückseliger Familien Besitz ergriff.

Im Horror gilt es nun nicht mehr Originalität walten zu lassen. Den bekannten Elementen dieser Maschinerie des Schreckens klemmt der australische Regisseur James Wan („Saw“, „Dead Silence“, „Insidious“) sogar absichtlich neuartige Zusätze ab und gleitet in „Conjuring“ entlang des klassischen Firmaments großzügigen Spuks, dem Minimalismus zu Momenten stiller Anspannung verhilft. Freilich pocht schon der stimmige Prolog auf die Urängste der menschlichen Furcht: Die Puppe Annabelle ist es dort, die rein durch filmische Inaktivität einer Wohngemeinschaft den Dämon aufbindet. Mal kratzt ein Stift über Bodendielen, klopft es herrisch an der Tür, bilden eingeschlagene Bilderrahmen ein Trümmerfeld des Terrors. Schlussendlich wandert das gar nicht so unschuldig wirkende Wesen in die nächstbeste Mülltonne, doch ersteht den Marotten des Horrorfilms üblich wieder auf und fristet ihr Dasein sodann in die Asservatenkammer der Dämonologen Ed und Lorraine Warren (Patrick Wilson und Vera Farmiga). Selbst in den 70er Jahren dürfte dieses Püppchen ohne Engelsgesicht jedoch kaum in den Zimmern von Studenten zu finden gewesen sein. Dafür ist es eine Spur zu bewusst melodramatisiert, als ob eine weibliche „Chucky – Die Mörderpuppe“ durch den Schlamm gewälzt würde und kurzum in ein Kleid schlüpft.

Horror jedoch funktioniert seit jeher nicht über Logik, sondern die Betäubung eben jener durch eine Trivialisierung des Ausnahmezustands. Das Konzept in „Conjuring“ ist schillernd einfach: Roger und Carolyn Perron (Ron Livingston und Lili Taylor) ziehen mit ihren fünf Mädchen in ein wenig schmuckes, aber dennoch großflächiges Haus, bis es zu rumoren beginnt und die parapsychologisch geprüften Warrens die Szenerie beschreiten. Das ausgestellte Leiden der Familie Perron ist jedoch nur als wiederholte Geburt des Unheils zu sehen, das hinter unstet brennenden Streichhölzern aus dem Schlund des Kellers empor tritt. Zunächst benimmt nur der Hund sich merkwürdig, alsbald spürt eines der Mädchen aber bei Nacht eine Hand, die immer wieder an ihrem Bein zieht. Zu sehen ist erst mal: gar nichts. Tatsächlich liegt der Clou in James Wans effektiver Inszenierung, die den Rückstoß erst zünden lässt, als die Szene bereits vorbei scheint und die Überblende zur nächsten folgen sollte. Einprägsam ist die traditionelle Ausführung vor allem, da Wan mit seidigen Kamerabewegungen und sorgsamen Schnitten durch dichte Schwärze lenkt, als wäre der Dämon zumindest anfangs nur Halluzination.

Erst die dann fleischgewordene Bedrohung lässt „Conjuring“ in die Fahrwasser jener öden Spukschlosserzählungen treiben, die Wan zunächst in außerordentlicher Bedächtigkeit karikiert. Schließlich ist die Ausgeburt der Finsternis auch hier nur ein überschminktes Etwas mit fettig umwaberten Haaren und erfordert schlicht einen Exorzismus, um den Kindern die wohl sorgende Mutter zurückzugeben. Die bislang überlegte Bescheidenheit baut Joseph Bishara unter dissonantem Fiedeln aber ebenso zügig ab, wie die Kamera stockendes Ruckeln lernt und „Conjuring“ mehr einen bay’schen Autounfall als eine gewiefte Austreibung à la William Friedkin reproduziert. Glücklicherweise dürfen trotzdem herzlich wenig Körperflüssigkeiten spritzen, und wenn, dann ist es wenigstens der Handlung für eine feine Knospe Splatter-Dramatik dienlich. Selbst in den leidlich subtilen Sequenzen kramt Wan dennoch klaustrophobische Anmut hervor – mittels der sanftmütigen und leicht verstörten Vera Farmiga und jener erstarkten Lili Taylor, die zwischen Teufelsfratze und Mutterdynamik tanzt. Dafür ist sogar die Wandlung von diffuser zu greifbarer Spannung hinzunehmen, die anderswo auf schwammige Charaktere trifft, die von einer Blutfontäne freiwillig in dümmliche Logiklöcher tappen.

Meinungen

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