Eric Lomax (Colin Firth) ist ein Englishman zwischen Hornbrille, Tweed und Schnauzer. Sein wahrer Fetisch aber transportiert Menschen über Brücken, Weichen, Schienen, Flüsse, über sich wölbende Landstriche und die wildromantische Countryside: die Eisenbahn. Diese ist jedoch nicht nur Leidenschaft, sondern auch Schicksal. Obwohl uns der deutsche Verleih narren möchte, handelt Jonathan Teplitzkys „Die Liebe seines Lebens“ daher nicht von einer Liebe zwischen zwei Menschen – er handelt von einer Liebe zwischen Mensch und Eisen. Denn Eric ist der „Railway Man“, der Eisenbahnmann des englischen Originaltitels und der gleichnamigen Autobiografie seiner selbst aus dem Jahr 1995.

Und er ist ebenso eine Geisel seiner Vergangenheit: der Zeit als Soldat der britischen Armee während des Zweiten Weltkriegs, als die Japaner Singapur einnahmen und den Bau einer Eisenbahn vom heute thailändischen Siam nach Birma planten. Der junge schottische Funktechniker (Jeremy Irvine) fügt sich der Folter in Maßen – bis sie maßlos wird, da der Feind einen Radioempfänger bei ihm entdeckt, den er aus zusammengeklaubten Resteteilen gebastelt hat. Fortan halten ihn die Japaner für einen Spion, der wertvolle Informationen an die Briten weitergereicht haben muss. So beginnt im Dschungel unter den Zyklen pedantischer Brutalität sein Martyrium und der „Code of Silence“, den seine zweite Frau Patti einige Jahrzehnte später zu entschlüsseln versucht. Oder wie Nicole Kidman in jener kühlen, reduzierten Rolle äußert: „My husband is a mess.“

Im Film hingegen hat sich der eigentlich lineare Handlungsrahmen Techniken zu unterwerfen, die munter in Raum und Zeit jonglieren, vor- und zurückspringen, stauchen, strecken, entfernen, fiktionalisieren, was sich in der Realität niemals oder nur im Ansatz abgespielt haben konnte. Auch Regisseur Teplitzky stiftet Suspense, indem er das Leid eines Kriegsgefangenen in den unbeirrten, konservativen Stakkato-Querschnitt aus Vergangenheit und Gegenwart manövriert, wobei die Gegenwart ebenso nur eine weitere Vergangenheit porträtiert, spielt sie doch zwischen 1980 und 1993. „Die Liebe seines Lebens“ spiegelt letztere Periode jedoch mit einer rigorosen Antiexotik wider, die auf Basis einer kultivierten Feindseligkeit den Blick ins Reine probiert, doch vielmehr bemüht an der Oberfläche kratzt.

Dass Eric Lomax und sein ehemaliger Peiniger, der Übersetzer Takashi Nagasi, den Hass der Gräueltaten niederlegten und sich nach ihrer zweiten Konfrontation in den neunziger Jahren versöhnten, ist Frank Cottrell Boyces und Andy Patersons Drehbuch nämlich lediglich eine lieblose Randnotiz wert, die sich aufgrund des vorhergehenden moralischen Diskurses nur ästhetisch nicht aber mehr humanistisch entfaltet. Daher ist „Die Liebe seines Lebens“ auch ein Film, der sich einer fordernden Wahrheit zu feige ist. Weil er (obwohl in gewiss anderer Weise) dort endet, wo bereits Angelina Jolies „Unbroken“ Anfang des Jahres endete: am Beginn des Kollaps, am Anfang einer Antwort, einer Annäherung nach dem tosenden Orkan. Der große David Lean, der hier doppelt offenkundig mit „Begegnung“ und „Die Brücke am Kwai“ Erwähnung findet – er ist so gegenwärtig wie fern.

Meinungen

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Kinostart: 16.02.2017

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