Nur mal so zur Vorwarnung: Als eingefleischter GodzillaFanboy von Kindesbeinen an mag meine euphorische Beurteilung für diesen Film nicht komplett objektiv ausfallen – was zumindest im Sinne der Zielgruppe für die Qualität der Gareth-Edwards-Variante sprechen dürfte. Jener Regisseur ist ohnehin gar nicht mal so weit entfernt von dem Jungen, der am Samstag-Nachmittag vor dem Fernseher saß und mitverfolgte, wie die japanische Riesenechse gegen andere Viecher aus der Urzeit, dem Kraftwerk oder dem Weltall kämpfte. Und so ist sein Film auch eine würdevolle Liebeserklärung an jene zahlreichen Kaiju-Happenings, die den Titelcharakter (erneut fern vom ursprünglichen Gedanken Ishirô Hondas) eher zum Freund der Menschen gestaltet, anders als beispielsweise Guillermo del Toros „Pacific Rim“ oder eben auch Roland Emmerichs „Godzilla“ von 1998.

Überraschenderweise sind die ersten Minuten dieses Neuanfangs aber gar nicht mal so verschieden vom Emmerich-Werk (mit all dem Bikini-Atoll-Footage, den Standort-Untertiteln, Ausgrabungsstellen und mit Helikoptern ankommenden Forschern) und vermitteln recht schnell, dass man nicht unbedingt den apokalyptischen Horrorfilm erwarten sollte, den die Trailer suggerieren. Weit eher kann man sich darauf einstellen, eine Optimierung der Godzilla-Formel für kontemporäre Blockbuster-Verhältnisse zu erhalten. Doch diese Optimierung geschieht zum Glück nicht auf Kosten des Charmes jener Eigenarten, die solche Werke über die Jahrzehnte begleitet haben. Wenn Bryan Cranston als Wissenschaftler mit Brille durch die Atomanlagen düst und Besorgnis erregende Werte empfängt und Elisabeth Olsen als treues Waifu zuhause auf ihren amerikanischen Gwailo-Hero Aaron-Taylor Johnson wartet, fühlt man einfach die Liebe zum Detail im Genre-Wesen, muss sich zudem nicht mit der Nerd-Drolligkeit des letztjährigen „… Rims“ abfinden.

Edwards huldigt mit seinem schnörkellosen Narrativ nicht nur bewährten Genre-Zutaten, sondern bringt auch etwas zurück in den Monsterfilm, was man schon seit langem vermisst hat: Demut, Sprachlosigkeit, Massivität. Mit seinem „Monsters“ hat er durchaus bewiesen, dass er den animalischen Gestus jener Kreaturen nicht als profunde Bösartigkeit, stattdessen als instinktive Naturgewalten präsentieren kann, die sich kaum weniger um uns Menschen scheren könnten und fernab humaner Regelungen ihrem eigenständigen Verhalten und Zauber Ausdruck verleihen. Diesen Gedanken vergisst er erst recht nicht in diesem Film, der selbst den fiesesten Exemplaren der megalomanischen Tierwelt Momente der Nachvollziehbarkeit und Empathie verpasst – nur dass er es diesmal zusätzlich schafft, den Menschen ins Blickfeld der Biester zu rücken, mit einem Hauch von esoterischer Wunschtraum-Naivität.

Denn was selbst die meisten der früheren Creature-Features aus Tohos Wunderkiste nicht hinbekamen – das Publikums-Interesse für die menschlichen Protagonisten – meistert der britische Regisseur bei seinem erst zweiten Spielfilm (!) mit Bravour und auch einer direkten Anlehnung an das frühe Œuvre Steven Spielbergs. Damit sei neben der direkten Vermittlung streng nachvollziehbar-führender Plansequenzen insbesondere dessen pointierte Sensibilität für menschliche Erfahrungen gemeint, die vor allem in Werken wie „Der Weiße Hai“ einen ausgefallenen Fokus auf Entdeckung und Enthüllung besaßen – weshalb Edwards auch nur allmählich und behutsam seine Kolosse mit dem Objektiv aufdeckt und stattdessen die Reaktionen seiner menschlichen Charaktere beleuchtet (zudem ist der Familienname seiner Protagonisten, Brody, ein unwiderlegbarer Querverweis auf Roy Scheiders Charakter in Spielbergs Hai-Attacke).

Und selbst obwohl er besonderen Wert auf die Emotionalität seiner Geschichte legt, ergibt er sich keinem Hardcore-Drama oder einer erdrückenden Düsterheit, behandelt Menschlichkeit folgerichtig mit einem innewohnenden Galgenhumor (auch dank des Old-Hollywood-funktionalen Orchester-Scores von Alexandre Desplat), bleibt aber stets subtil und respektvoll, vermeidet allzu schweren Pathos und ein Übersuppen thematischer Relevanz. Die es aber auch durchaus zu erforschen gilt, wird die ursprüngliche Funktion Godzillas doch umgedacht und auf die Seite der Siegermächte ausgespielt. Man übt sich erneut ein Stück weit in Vergangenheitsbewältigung – so wie man 1954 jenes beliebte Filmmonster als Verarbeitung von Hiroshima und Nagasaki konzipierte, schickt man die atomare Gefahr an den Sender Amerika zurück, jedoch diesmal in Form der sogenannten MUTOs, die sich an den radioaktiven Sprengköpfen ergötzen und damit wachsen – nicht nur für sich, sondern auch im Gewissen der Verantwortlichen von einst (Ken Watanabe als Dr. Ichiro Serizawa trägt da auch seinen Teil dazu bei, mit einer ihm hinterlassenen, stehen gebliebenen Taschenuhr aus dem Krieg im Gepäck).

Godzilla dagegen wird zu japanischer Folklore erklärt, als Equalizer natürlicher Gerechtigkeit, der genau das tut, was sein Instinkt ihm befiehlt und quasi ohne es selbst bewusst zu wissen, zum versöhnlichen Schutzherrn der Weltbevölkerung wird, obwohl man ihn seit den 1950ern zu zerstören versucht. Er scheint dabei von außen hin einen gewissen Stolz und einen darwinistischen Überlebenswillen, aber vor allem eine göttlich-weise Erhabenheit zu besitzen, die einem Samurai ähnlich ihren unumstößlichen Weg geht und dennoch die Menschheit verteidigt und mahnt (also nicht schlicht als Rache-Instrument Japans agiert).

Am stärksten sieht man dies durch die Augen Ford Brodys (Aaron-Taylor Johnson), der es über die Jahre hinweg nicht leicht hatte, die Tragödien in seiner Familie zu verarbeiten, aber jene Geschichten für sich selbst als abgeschlossen erklärte, ohne nähere Details wissen zu wollen. Sein Vater hingegen, Joe Brody (Bryan Cranston), kann und will der offiziellen Version keinen Glauben schenken und vermutet eine Verschwörung, ein groß angelegtes Cover-Up. Sein Sohnemann möchte die Vergangenheit ruhen lassen, doch muss schließlich die Konfrontation mit der Wahrheit eingestehen, erst recht als sie allmählich vor der eigenen Haustür seiner Familie steht. Da steckt auch ein guter Anteil von Amerikas 9/11-Trauma drin, das nie wirklich abklingen konnte und bis zum heutigen Tage Fragen aufwirft – speziell, wie sich der Terror im Vorfeld so stark entwickeln konnte, wer genau dafür verantwortlich ist und wie letztendlich damit umgegangen wurde.

Da ist es dann auch nur allzu passend, dass der rechtschaffene Average-Joe-Sympath Ford Brody auf dem Abenteuer der Wiedergutmachung auch in militärische Dienste tritt beziehungsweise als Helfer agiert, stets mit dem Ziel des eigenen Glückes, der Wiedervereinigung mit seiner Familie, im Auge. Dies mag für selbsternannt-anspruchsvolle (= spaßbefreite) Kritiker, die sich wahrscheinlich noch nie mit der Materie befasst haben, jetzt schon ein allzu einfältiges No-Go sein, ist aber nicht nur der folgerichtige Ausdruck eines Post-9/11-Amerikas, sondern auch eine gängige Vorgehensweise im KaijuEiga, der seit jeher Pflichterfüllung und die Entgegensetzung aller menschenmöglicher Kräfte zur Bezwingung der Furcht in den Vordergrund rückte. Da versteht Edwards erneut sein Handwerk und macht dennoch klar, dass menschliche Gewalt nicht der Weisheit letzter Schluss ist und die Situation mitunter noch verschlimmert. Güte, Vergebung, Hoffnung und an vorderster Stelle Natur bringen da eher die Erlösung und Godzilla übt, wenn auch unbewusst, jene Werte auf größtmöglicher Fläche aus – jedenfalls in Hinblick auf uns, weniger auf seinen direkten natürlichen Gegner, der recht oft die vom Publikum heiß erwartete Ikonographie zu spüren bekommt.

Apropos Ikonographie: Als erfahrener Fan des Genres bekommt man auch dank der geradezu klassischen Aufarbeitung der Materie genug retroaktiven Gesprächsstoff geliefert, was aber nicht heißen muss, dass der Otto-Normal-Zuschauer außen vor gelassen wird – da bleibt der Narrativ wie erwähnt so herrlich-understated, geradlinig und selbstbewusst, dass keinerlei Missverständnisse aufkommen können. Und wie wirksam die vielen, sorgsam aufgebauten, aber nicht exzessiven Action-Szenarien spannungsreich unterhalten, darf man auch nicht verkennen, sind sie doch hauptsächlich dem gelungenen, menschlichen Kern zu verdanken. Wenn dann nämlich allesamt, also Publikum und Charaktere gemeinsam in Ego-Perspektive mit 3D-Optik, in den von dichten Wolkengebilden verhangenen Moloch des Monsternestes eintauchen, der zu György Ligetis „Atmosphères“ ein infernalisches Bild der Hölle auf Erden entfacht, fühlt man sich vollends zwischen mystischen Giganten – zwar ganz klein, aber doch mittendrin als Teil des Ganzen. Der Nervenkitzel der Furcht und der Faszination vor beziehungsweise mit dem Unberechenbaren ist wieder da im Kino. Oder kurzum für Eingeweihte: der beste Godzilla-Film seit Shusuke Kanekos „Godzilla, Mothra, King Ghidorah – Giant Monsters All Out Attack“.

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