Wie weit fällt man vom Glauben ab, wenn man Nicolas Cage nach all den Jahren des cineastischen Verschleißes auch noch in einer christlich-fokussierten Filmproduktion wiederfindet? Irgendwie hat man es ja schon erwartet: bei den vielen Wegen, die der Mann in seiner unergründlichen Laufbahn einschlug. Doch eine darstellerisch-exzessive Passion seinerseits braucht man leider nicht erwarten, soweit trägt er sein Kreuz hierin noch mit standardisierter Fassung, meist hinter dem Lenkrad eines mittelmäßigen Green-Screen-Cockpits geklemmt. In Left Behind“, einem Remake einer Bestseller-Adaption über das Jüngste Gericht, ist er nämlich gefährlich nah am Himmel, da er in der Rolle des Piloten Ray Steele (!) eine globale Glaubensprobe sondergleichen erlebt. Dabei deutet schon vieles mit mangelnder Subtilität auf jenes Ereignis hin: Prophezeiende Mütter Mitte fünfzig, unter anderem Lea Thompson als seine plötzlich orthodoxe Frau Irene, berichten von einem rachsüchtigen Gott, der Erdbeben, Tsunamis und andere Katastrophen aus bestimmten Gründen auf unsere Erde erbricht, da wir deren Perfektion verdorben haben.

Seine Tochter Chloe (Cassi Thomson) jedoch steht dem Ganzen etwas gelassener gegenüber, denn schließlich gibt es doch noch so was wie die Liebe, derer auch mit beinahe sofortiger Wirkung der hünenhafte Reporter Buck Williams (Chad Michael Murray) verfällt, welcher ebenso vom Überlebenswillen der Menschheit zu berichten weiß und Chloe schon nach einem funkenden Gespräch Küsse auf der Wange hinterlässt – wohlbehaltenes, weißes, blondes Glück findet nun mal schnell zusammen. Doch Chloes Tag läuft nicht ganz so rund, da sie ja extra nach New York City (gespielt von Baton Rouge, Louisiana) gekommen ist, um ihre Familie zu besuchen und den Geburtstag des Erzeugers zu feiern, jener Vater Ray jedoch wissentlich eher den nächsten Flug nach London betreut und sie damit maßlos enttäuscht. Da helfen keinerlei Tickets für U2 und erst recht nicht die Tatsache, dass er seinen Ehering im Dienst immer im Auto zurücklässt und auch noch halbseiden mit den Flugbegleiterinnen rumflirtet. Der Grund dafür lässt sich zu Hause bei seiner beinahe manischen Ehefrau finden, die nicht umhin kommt, Chloe nach ihrer Ankunft recht schnell ins Thema des Glaubens zu lenken. Denn sie weiß: Es kommt etwas auf sie zu.

Regisseur Vic Armstrong, hauptberuflich profilierter Stuntman vom Schlage „Indiana Jones“ bis „Thor“, spart in seinem zweiten Spielfilm (nach „Barret – Das Gesetz der Rache“, 1993), wie bei einer derartigen Prämisse zu erwarten, nicht mit platten Vorzeichen, religiösen Thesen und moralischen Hinweisen. Diese unterwirft er folgerichtig einer hanebüchen-aufzwingenden Konstruktion, wie man sie von billigster Propaganda kennt und welche hier passenderweise sogar von einem mickrigen Budget untermauert wird, das seine technische Unbeschaffenheit zwar noch mit einer pflegeleichten Imagefilm-Optik und einem größtenteils orchestralen Score (inkl. Christen-Popsong) kaschieren kann, solange es nicht um die im Verlauf zunehmend Flugzeug-Effekte geht, jedoch auf narrativer Ebene von weit hergeholten Einfältigkeiten und plakativsten Zufälligkeiten heimgesucht wird, die jedes Verständnis von einer etwaigen Realität vermissen lassen. Bevor es nämlich per einfachstem Stopptrick für die wahren Gläubigen Richtung Himmel geht, führt uns der Film im konzentrierten Ambiente des Flugzeuges schon ärgste Klischees problembehafteter, sprich sündiger Rollenmodelle vor.

Am Steuer ist ja Ray Steele schon kein unbeschriebenes Blatt, aber da gibt es in den hinteren Reihen noch den texanischen Großindustriellen mit der großen Klappe, den ewig wütenden Kleinwüchsigen mit einem Faible für Sportwetten, die Kokserin, den Muslimen, den schlauen Asiaten, die verrückte Schwarze und natürlich die demente Oma. Alles Figuren, die wie selbstverständlich nicht die Gnade Gottes verdienen, der hauptsächlich die Unverbrauchtheit der Kinder und die beständig Bibeltreuen schätzt. Wer sich da schon nicht John 3:16 in seine Uhr einmeißelt und im Tagebuch den kommenden Kirchengang am Sonntag vermerkt (warum auch immer man sich das nicht auch so als Superchrist merken würde), der bleibt nun mal zurück. Eine wahrhaft irre Tour ist das, wie die verbliebene Familie Steele und alle anderen anhand solcher und ähnlicher Zeichen langsam herausfinden, dass selbstverständlich Gott dahinterstecken müsste.

So macht sich Chloe auf durch die zwangsweise provinziellen Straßen New Yorks, um ihr verschwundenes Bruderherz Raymie (Major Dodson) zu finden und trifft dabei wenige Minuten nach dem alle betreffenden Ereignis bereits auf haltlos plündernde Meuten im Mittelklasse-Khaki-Pullover, die Supermärkte zerstören, wie verrückt Autos aneinanderkrachen lassen oder auch klauen und allgemein wie auf Knopfdruck die Schweinebacken rauslassen, die sie schon immer waren. Und weil Armstrong noch ein bisschen sein Handwerk spielen lassen will, stürzen einerseits Flugzeuge ab und andererseits ballern sich die Menschen von Angesicht zu Angesicht nieder, zwar ohne Blut, aber dafür mit reichlich Zeitlupen-Pyrotechnik, durch die Darstellerin Cassi Thomson öfters mit GoPro-Kameras durchgepeitscht wird. In einer bezeichnenden Szene geht sie schlicht unter einer Brücke entlang und selbst dort wird ihr von einem Motorradfahrer die Handtasche geklaut, sofort gefolgt von einem Schulbus, der vor ihren Augen in den Fluss stürzt. Aber gut: Sitzt ja niemand drin, genauso wie in dem Auto mit dem eucharistischen Fisch-Anhänger am Rückspiegel.

Während sie die Zeichen der Zeit bei helllichtem Tage erkennt, bricht bei kaum drei Stunden Entfernung die Nacht um den Luxusflieger von Ray an, welcher seine religiös-verzweifelten Passagiere auf dem Rückflug nach New York nicht mal mit erpresserischem Druckablass in Zaum halten kann. Die Situation erschwert sich zudem, als er, nach einem Beinahe-Zusammenprall mit einem menschenleeren Flugzeug, Teile des rechten Flügels verliert und die Maschine stetig sinkt. In dieser Krise jedoch erinnert er sich mit gezielten Drehbuch-Knöpfen der Wahrnehmung an die Prophezeiungen seiner Frau und gesteht sich schließlich selbst ein, ihr nicht mehr zugehört, nicht mehr geglaubt zu haben, weshalb in ihm allmählich der Drang zur Läuterung und somit auch zur Rückkehr ins Herz von Chloe wächst. Beide Seiten treffen sich schließlich bei der letzten Landemöglichkeit in New York, für die alle nochmal ihre letzten Kräfte zusammenreißen und ans Gelingen glauben müssen.

Ein inszenatorischer Countdown, den man zuhauf aus dem alltäglichen Fernsehprogramm kennt und hier ebenso durchgeführt wird, wie man es sich von vornherein denken kann. In diesem Fall jedoch verlangt der Film einen Kino-reifen Anspruch, den er anhand seines beliebigen und schludrigen Aufbaus allerdings selber nicht einlösen kann. Stattdessen kann er nur mit unfreiwilliger Komik bei Laune halten, mit welchem fehlgeleiteten Ernst er durchgehend versucht, die einfachsten Werte des christlichen Abendlandes als dringende Lösung aufzubereiten. Jene Penetranz gründet sich auf einem belehrenden Moralfinger; doch angesichts des modernen Lebensverständnisses jedweder Zuschauergruppe und des unbeholfen ausstaffierten Settings des Films bleibt diese mahnende Note, wie direkt aus puritanischeren Zeiten vergangener Jahrhunderte importiert, von harmloser, gar lachhafter Wirkung. Ein Publikum gibt es dafür sicherlich leider immer noch, aber ob das noch genauso lange in der Filmwelt zurückbleiben wird, wie die schier unberechenbaren Höhen und Tiefen von Nicolas Cage, ist mit Hinblick auf diese durch und durch misslungene Qualität durchaus fraglich.

Meinungen

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Kinostart: 16.02.2017

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