Dieser Film durchbricht ein tot geglaubtes Tabu und zeigt uns dabei, wie bigott Hollywood doch eigentlich ist: „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“ ist ein Künstlerporträt mit viel Bling Bling, gepaart mit einer irrekomischen Liebesgeschichte, deren Ausgang dramatische Züge annimmt. Während „Liberace“ in Europa erfolgreich in den Kinos anläuft, konnte Regisseur Steven Soderbergh in Hollywood keinen Verleih für sein Werk finden. Trotz hochkarätiger Besetzung und einem Drehbuch des Oscar-nominierten Richard LaGravenese („König der Fischer“) wollte niemand das Risiko eingehen eine solche Geschichte zu verfilmen, zumal Liberace Liebling der amerikanischen Spießbürger war. Spätestens nach Ang Lees „Brokeback Mountain“ dürfte man glauben, dass nun auch die Darstellung von Liebesbeziehungen zwischen Männern im Mainstream Hollywoods angekommen ist. Nun ja, theoretisch stimmt das auch, aber anscheinend betrifft diese Enttabuisierung nur Sonderfälle.

Zum Glück war der Garant für anspruchsvolles Heimkino, der Privatsender HBO, von Soderberghs Projekt auf Anhieb überzeugt und presste mit der Ausstrahlung von „Behind the Candelabra“ (Originaltitel) Hollywood ordentlich die Meinung. Schade ist nur, dass Hauptdarsteller Michael Douglas für seine Darstellung in einem Fernsehfilm lediglich einen Emmy gewann, für einen Oscar jedoch nicht nominiert werden kann, da Hollywood verkrampfter, verstaubter und vor allem bigotter ist, als man geglaubt hätte. Auf dem Filmplakat sieht man zwei Herren: der eine jung und blond, der andere deutlich älter und brünett – beide sind herausgeputzt, sie tragen weiße, glitzernde Kleidung und Föhnfrisur, selbst ein Hauch von Make-up lässt sich erahnen. Zumindest die potenziellen, jüngeren Kinogänger dürften unterbewusst sofort an Siegfried und Roy denken, was sich allerdings als Fehlschuss herausstellt – dennoch bleiben zwei Parallelen bestehen: männliches Paar im Glanze und Ruhm von Las Vegas.

Glanz und Gloria sind fundamental für dieses in Gold und Brillanten gehüllte Werk, welches den geheimsten Aspekt des Lebens von Władzio Valentino Liberace, einem Kind italienisch-polnischer Einwanderer porträtiert. Als Pianist, Sänger und Entertainer wurde er unter dem Künstlernamen Liberace berühmt. Er spielte für Präsident Truman und Elisabeth II, amerikanische Hausfrauen lagen dem Musiker zu Füßen, der von Jazz bis Klassik so ziemlich alles spielen konnte. Ganze drei Jahrzehnte war er eine feste Größe im amerikanischen Showbiz und bis in die siebziger Jahre hinein der bestbezahlte Entertainer weltweit. Was die wenigsten seiner Fans wussten: Liberace war homosexuell, doch zugleich gläubiger Katholik – ein scheinbarer Widerspruch, der zeigt wie zerrissen dieser Mann in seinem Innersten war. So war es wohl unvermeidbar, dass er sich mit HIV infizierte und 1987 letztendlich an den Folgen von AIDS starb.

Trotzdem ist eines gewiss: Wer während des Films in die Welt von Liberace (Douglas) eintaucht, wird schnell merken, dass dieser Mann der Godfather des opulenten Pomps war. Er hatte eine neue Form des Entertainments erfunden, die ihm so schnell keiner nachmachen sollte. Schrill wie ein Paradiesvogel stolziert Liberace in Samt und Seide mit Pelzumhang und Diamanten über die Bühnen von Las Vegas, nachdem er zuvor in einem von Strasssteinen besetzten Rolls-Royce auf eben diese Bühne chauffiert wurde. Nicht kleckern, sondern klotzen war Liberaces Devise. Und er ging diesem Lebensmotto mit einer derartigen Leidenschaft nach, dass man das wage Gefühl bekommt, Musiker wie Michael Jackson oder Elton John – und erst recht selbst ernannte neue Sonnenkönige wie die Harald Glöcklers dieser Welt –, hätten sich lieber zu Hause verstecken sollen.

Wie bereits angedeutet war die Opulenz jedoch nur Fassade. Was sich hinter den Kulissen abspielte, rückt hier in den Vordergrund: Liberaces Alltag und Sexualleben, welches ein wohl gehütetes Geheimnis bleiben sollte. Steven Soderberghs Film basiert auf der Autobiographie von Scott Thorson, gespielt von Matt Damon, einem heute erwachsenen Mann, der den Entertainer mit süßen sechzehn Jahren kennenlernte. Für Liberace zog der attraktive blonde Junge aus Los Angeles nach Palm Springs, um bei ihm zu leben. Aus einer anfänglichen Affäre entwickelte sich eine fünfjährige Beziehung. Thorson lebte in einem goldenen Käfig, richtet sein Leben ganz nach seinem vierzig Jahre älteren Liebhaber. Der Film zeigt den Alltag zweier Männer, der einer gewöhnlichen Ehe mit klassischer Rollenverteilung in Nichts nachsteht. Wir sehen, wie Liberace die Naivität und Hingabe seines jungen Partners ausnutzt, ihn sogar überredet sich sein Gesicht operieren zu lassen, um ein jüngeres Abbild seines Selbst zu erschaffen. Zwischen Besitzergreifung einerseits und Selbstaufgabe andererseits, zeigt die Beziehung zwischen Thorson und Liberace die Tücken einer Liebe, die auf Hierarchie und einem erdrückenden Ungleichgewicht von Kompromissbereitschaft basiert.

Wir sehen, wie der Toy Boy zu einem emotional gebrochenen Junkie wird und sich sein Sugar Daddy einen neuen, jüngeren, schöneren und naiveren Geliebten sucht. Die Beziehung zerbricht, Liberace verlässt seinen Partner, stößt ihn von sich. Es entwickelt sich etwas, dass man als „Der Rosenkrieg“ – Reloaded bezeichnen könnte; nur eben ohne Kinder und mit einem homosexuellen Paar. Eine Assoziation, die man nicht bloß Michael Douglas zu verdanken hat. Douglas erfindet sich als Liberace vollkommen neu. Es ist alles andere als übertrieben ihn mit einem Phönix zu vergleichen, der aus seiner eigenen Asche aufgestiegen ist. Eigentlich assoziiert man den alten Haudegen Douglas mit einem Womanizer, der für eine schnelle Nummer mit einer attraktiven Frau gerne seinen sozialen Status und die ehelichen Pflichten vergisst. Doch als abgedrehte, zerbrechliche, alte „Tunte“ hat man ihn noch nie gesehen. Mit seiner neusten Performance macht er Sean Penn in der Rolle des Harvey Milk gewaltig Konkurrenz. Seine Mimik und Gestik, die Art, wie er spricht, wie er Klavier spielt, erschaffen ein derartig perfektes Gesamtbild, dass der Zuschauer vergisst, ihn und nicht den leibhaftigen Liberace auf der Leinwand zu sehen.

Auch die Liebesszenen mit Matt Damon wirken so authentisch, dass man als Zuschauer vor lauter Innigkeit, alltäglicher Skurrilität und lauter Scham rot anläuft. Zugegeben: Matt Damon hat es nicht leicht neben Douglas zu glänzen. Er spielt wie gewohnt einen sensiblen jungen Mann. Aber trotzdem ist seine Darstellung als Toy Boy irgendwie anders und peinlich berührend. Ganz klar wird sich der Zuschauer eher mit dem blonden Jüngling, als mit dem exzentrischen Entertainer identifizieren können. Was jedoch nicht so ganz zu passen scheint, ist das tatsächliche Alter Damons. Es nimmt dieser äußerst pikanten Geschichte seine ursprüngliche Schärfe. Während Damon bereits Anfang vierzig ist, war Scott Thorson zu Beginn dieser Beziehung minderjährig. Es ist ein Fauxpas, der aber scheinbar gewollt ist, einer, der die Story irgendwie menschlicher, ja fast berührender macht. Soderbergh trifft mit seinem zu alt geratenen Sonnyboy den Kern der dargestellten Thematik. Der Regisseur vermeidet durch seine Wahlbesetzung in Päderastenklischees zu versinken, um den Blick für das Zwischenmenschliche zu schärfen.

„Liberace“ glorifiziert nicht etwa das Leben eines absoluten Superstars, sondern er beweist, dass Menschen am Ende des Tages eben nur Menschen sind. Ohne viel Romantik und Kitsch – ganz abgesehen von den Schauplätzen, Kostümen und Requisiten – zeigt der Film den gemeinen Beziehungsalltag eines jeden Paares. Der Film zeigt, wie sich Alter, Prestige und die jeweiligen ökonomischen Unterschiede beider Partner negativ auf eine Beziehung auswirken können. Er lehrt uns, dass wir unseren Partnern gegenüber kompromissbereiter sein sollten, um nicht eines Tages aufzuwachen und auf ein Feld von Trümmern blicken zu müssen.

Meinungen

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