Andrei Kontschalowskis „Shy People – Bedrohliches Schweigen“ erweitert unseren Rückblick auf das berüchtigte Werk der Cannon Films – denn nicht umsonst hieß es auf jeder ihrer Videokassetten: „We’re Cannon Films and we’re dynamite!“

Wenn man an entlegene Orte denkt, wie zum Beispiel an die tiefen, finsteren Sümpfe von Louisiana, und dort Menschen vermutet, geht man davon aus, dass sich die von der Öffentlichkeit abgeschotteten Familiengeschichten zwangsläufig einer emotionalen Unterdrückung unterziehen. Aus Furcht vor diesen unbekannten Verhältnissen scheint es da meist besser zu sein, diese ruhen zu lassen, anstatt jene eingeborenen Werte als selbsterklärter Zivilisierter zu hinterfragen. In „Shy People – Bedrohliches Schweigen“ bringt solch eine Unternehmung guter Absichten jedenfalls allmählich Spannungen hervor, die irreparabel verletzen, wie auch entmystifizierend für ein Verständnis der individuellen Lebensarten sorgen.

Regisseur Andrei Kontschalowski gestaltet diese ins dual-dysfunktionale Herz Amerikas steigende Geschichte mit brodelnder Spannung und klaustrophober Konzentration, wie er als Exilbürger der damaligen Sowjetunion womöglich auch seinen nicht ungefährlichen Schritt in die Vereinigten Staaten erlebte. Dabei dachte er sich diesen Film bereits vor seinem künstlerischen Umzug als in Russland spielende und eher universelle Erzählung – auf diesem Wege dürfte er die Reaktion auf kulturelle Kontraste aber noch stärker verinnerlicht haben. Sodann setzt er jenes Gefühl im Aufeinandertreffen der gut meinenden Stadtfrau Diana (Jill Clayburgh) und ihrer problematischen Tochter Grace (Martha Plimpton) mit der entfernten Cousine aus dem Süden, Ruth (Barbara Hershey), um. Diese regiert ihr abwegiges Anwesen in den Bajous sowie ihre längst erwachsenen Kinder mit strenger Hand und fühlt sich dabei stets den scheinbar allgegenwärtigen Prinzipien des toten Vaters verpflichtet.

Diana sucht nach einer seelischen Verbundenheit unter Cousinen mit Ruth und möchte Empathie für ihre freiwillig angenommenen Lebensverhältnisse formen. Zudem erhofft sie sich in ihrer Funktion als Journalistin einen guten Artikel aus dieser Situation. Die dabei kollidierenden Welten kommen jedoch nur aus weiter Entfernung zueinander und brechen schließlich unter der aufsaugenden Naturgewalt des stillen, doch vertrackten Sumpfes zusammen, je unvereinbarer sich die Ideologien ballen. Zwischen diesen zwei Familien kommt es zur folgenschweren Eskalation, innerhalb jenes Tals der Schmerzen folgt aber zudem die gegenseitige und längst benötigte Katharsis. Eine harmonische Zusammenkunft lässt sich jedoch unmöglich erwirken – der kulturelle Austausch bringt aber auf beiden Seiten zumindest den Ansatz zur Akzeptanz von Alternativen.

Diese hart einschlagende Versöhnung zweier konträrer Weltanschauungen bildet den Fokus im unterschätzten Werk Kontschalowskis, ohne auf einfache Lösungen eines Weltverbesserer-Kitsches zu setzen. Wie in seinen besten Arbeiten beweist er sich hier mit Unterstützung eines konfrontierenden Figurengefüges als Meister der Bilder und Stimmungen. Seine Gestaltung suggeriert durchweg die Spannung der Ausweglosigkeit, welche selbst im Besuch von Verwandten Ängste, Frustrationen, Geheimnisse und Ausbrüche zurecht webt. Dianas Eintauchen ins Familienleben von Ruth ist von Anfang an mit Ungewissheiten des Unerwartbaren verbunden, wie sie ebenso unbeholfen darin ist, die Kokainsucht ihrer eigenen Tochter auf diesem Wege austreiben zu wollen.

Jedenfalls übt sie sich darin in Verdrängung, wie sich gleichzeitig auch Ruth ihrerseits verschließt und dabei sogar ihre Söhne zur Verschwörung anzettelt. Das geht so weit, dass die Existenz eines Familienmitglieds geleugnet wird, weil dieses ausnahmsweise den Schritt nach außen wagte und sich der Welt stellte. Diese lang währende Isolation wird nun aber mit einer Invasion der Integration quittiert, worin beide sich nur verhalten miteinander verstehen können, weil sie schlicht zu spät kommt. Umso schwerwiegender setzt die Natur einen drauf, indem sie mit dicht bewachsenen Wurzeln oder auch unendlich scheinenden Flüssen den Horizont versperrt. Alle reiben sich zwangsläufig aneinander, bis in der Hitze des darin versuchten Zusammenseins nur noch individuell entschieden wird, was richtig oder falsch ist; was Zeichen der Zuneigung oder Ablehnung sind. Gefällig, schön oder überlegen sind diese bisweilen unbedachten Entscheidungen jedenfalls auf keiner Seite und Kontschalowski porträtiert sie mit einem Mut, der auch heute keine Selbstverständlichkeit darstellt.

Umso bedauerlicher ist es, dass sich diesem sehr sehenswerten Titel aus dem Cannon-Films-Fundus noch kein hiesiger Verleih für den modernen Heimkinomarkt gewidmet hat, weshalb er zurzeit lediglich auf uralten Videokassetten erhältlich ist. Dabei ist er gegenwärtig in fast keiner Version mit seinem originalen Bildformat ausgestattet, was den sinnlichen und bedrückenden Tiefen des hier zerfallenden und im Sumpf stagnierenden Bild Amerikas ein Stück seiner Kraft raubt. Wer sich trotzdem darauf einlassen will oder schon Gefallen daran findet, wie aktuellere Regisseure vom Schlage Jeff Nichols’ die psychologischen Ursprünge in der geteilten Menschlichkeit der USA erforschen, wird hier eine ähnlich bittere und offenbarende Ader eben dessen vorfinden.

Meinungen

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