Ob es ihm in anstehender Zukunft endlich gelingen mag, uns einen menschenwürdigen Film vorzusetzen, ungefährlich, gefällig, smart? Seit 2001 nervt Robert Rodriguez, Kind, Rasenstampfer, Rotzlöffel, Busenfreund Tarantinos, künstlerischer Quacksalber. Erwachsen werden? Nicht bei diesen Filmen, die versprechen, aber nicht einlösen, abfeiern, aber vor der Musik abbremsen. Rodriguez’ klobig abgepaustes bis elementar enervierendes Karikaturenpersonal weist einen seltsamen Bezug zum eskapistischen Rummel eines ausdrücklich lässigen Mitternachts- und Quatschkinos aus: Weder „Planet Terror“ noch „Machete“ sind Trash, Grindhouse, Exploitation. Was auch immer Rodriguez darunter verstanden wissen will – zwanghaftes Trimmen, inszenatorisches Geschultsein, hochwertiges Produzieren gehört nicht dazu. Statt sich dem Ungehobelten, Unkalkulierten, ja Unerhörten hinzugeben, liefert Rodriguez seit Jahren formal piekfein angestrichenen, chauvinistischen Kladderadatsch, dessen Verständnis sich darauf begründet, dass er grenzdebil wird, wenn er fantasievoll sein will, und dass er sich dem Mindestanspruch postmoderner Lust verwehrt, Zitate zu kontextualisieren, als sie zu preisen. Der Zug? Abgefahren. Aber nicht nur sein Zug. Auch „Sin City“. Zwischen 2005 und 2014 liegt eine lange Zeitspanne. Wer kann sich heute überhaupt erinnern, „Sin City 2: A Dame to Kill For“ jemals gebraucht zu haben? Ein abgeflauter Hype, eine verwelkte Ästhetik, leere Avantgarde in 3D – der Film muss sich den Zeichen der Zeit beugen.

Obige Eigenarten eines zeitgemäßen Robert-Rodriguez-Films passen zielgerichtet auf diese Fortsetzung. Versackt zu einer (Fan-)Mechanik nach Vorschrift (kitzelte es Rodriguez tatsächlich, den Fans doch noch ihr Ersuchen zu erfüllen?), hapert es „Sin City 2: A Dame to Kill For“ an intuitiver Gedankenlosigkeit, an dichter Erzählkraft, an Chaos, vor allem an wiederholtem Eifer, sich zum zweiten Mal in ein Moloch zu begeben, das von Sünden gezeichnet und von Narben übersät ist. Wieder verkompliziert Rodriguez die Ambiguität der Rache übergeordnet – zeitlich variierend gegenüber dem ersten „Sin City“. Johnny (Joseph Gordon-Levitt) gegen den Senator Roark (Powers Boothe), Dwight (Josh Brolin) gegen Ava (Eva Green), Nancy (Jessica Alba) abermalig gegen den Senator. Und wieder will ihm dieser Film nicht gelingen, der nicht trantütig, sondern feurig zelebriert. Seine zusammen mit Frank Miller adaptierten und ausgearbeiteten Geschichtchen interessieren nicht, locken keinen, umschmeicheln niemanden, weil sie in einer dramaturgischen Gleichartigkeit stagnieren, über zerhackte, zerschossene, zerstückelte Leichen zum biederen Explosionsfinale zu staksen. Dreimal. Dreimal eingepferchte Muster. Dreimal Tippen, dass der und der eh eines märtyrerhaften Todes sterben wird, indem er sich der Sozialunterschiede willen auflehnt. Abermals: fauchende Killer-Amazonen, abgewrackte Sittenwächter, neunmalschlaue Detektive. Alles beim Alten bei Robert Rodriguez. Sobald es die Geschichte nicht richtet, müssen es pralle Titten schaffen.

Über pralle Titten braucht sich Eva Green keine Sorgen zu machen. In „Sin City 2: A Dame to Kill For“ zieht sie einmal mehr blank, und Rodriguez wirkt wie vernarrt in ihre wollüstig eingeölten Kurven, den Arsch im Close-up, die Brüste hoheitsvoll darbietend, den nackten Körper beim Badespaß, immer wieder, den Sex getaucht in ätherische Jalousienschatten. Sie ist die dämonische Verführerin, die fleischliche, kreatürliche Femme fatale, verzehrend und tödlich, umringt von Dunst und begierigen Reizen. Fehlt nur das Beinkettchen, und sie wäre die Zwillingsschwester von Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) aus Billy Wilders Meisterwerk „Frau ohne Gewissen“. Was ihre Kollegen, das übrige üppige Kulissenmaterial, nicht zu leisten imstande sind – ein fehlbesetzter Josh Brolin, der krampfhaft gegen sein Image des Schönwetterbuben spielt, eine Jessica „Scarface“ Alba, die widerstrebend erheiternd gegen ihr Abonnement der Plastiktusse schießt, ein Joseph Gordon-Levitt und Mickey Rourke auf Mittagspausenmodus, ein Bruce Willis als einfältige Halluzinationsprojektion –, füllt sie aus. In einem Ensemble gravitätisch angekündigter A- und B-Stars schreiben ihr, der entzückendsten Neubesetzung, Rodriguez und Miller einige bezaubernde Szenen auf den, wortwörtlich, Leib, obwohl Sinnlichkeit und Künstlichkeit niemals ein langzeitiges Paar abgeben werden. Wohingegen Powers Boothe, leichentote Granitfratze, überschäumender Mund, entgeisterte Augen, den männlichen Gegenpart belebt. Zwei treffliche Charaktere. Aus dutzenden.

Eine Gegenüberstellung des ersten mit dem zweiten „Sin City“ bringt ohnehin Facetten zum Vorschein, die gleichfalls ernüchtern wie faszinieren. Dass das ästhetische Anliegen, einen Leindwandcomic in urbanen Grobschattierungen an den Film noir der Vierziger anzulehnen, damals sensationell digitales Filmemachen auf den Kopf stellte, aber heute längst in sich selbst zurückfällt, indem es gestrig, alt, zerschlissen an eine lästige Moderne gekoppelt ist, die im Breitbild zwingend den Raum vertiefen will, macht aus „Sin City 2: A Dame to Kill For“ einen langweiligen Stimmungstöter. Einzelne Motivfragmente mögen dieses Stilempfinden noch retten: Gestapelte Pokerchips veranschaulichen die charakteristische Skyline-Silhouette Sin Citys, Johnny verschwindet als zusammengesackter Fleck in den Regentropfen an einer Autokarosserie. Das ist wunderschön, poetisch, allegorisch. Aber die Fortsetzung – nochmals wird ihr jede Luft zum Atmen geraubt, denn die stilisierte Theatralik des Überschussmonologs, der Offenkundiges idiotensicher fundamentiert – knüpft nicht an das Elektrisierende und Abgründige des Vorgängers an, der mit einem bebrillten Kannibalen und einer sprechenden Leiche auf dem Beifahrersitzt bizarre Quereinschläge erfuhr. „Sin City 2: A Dame to Kill For“ verbleibt im müden Abhaken einer müden Fan-Wunschliste. In diesem Film ist Robert Rodriguez wiederholt der künstlerische Quacksalber.

Meinungen

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