„So trieb Gott, der Herr, die Menschen hinaus und stellte östlich von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.“ (Gen 3,24) Drei Zeitebenen, drei Epochen, drei Religionen und moralische Untertitel verwebt Darren Aronofskys „The Fountain“ über eintausend Jahre inmitten unzähliger Fragen – Fragen, die sich manch einer nicht zu stellen wagt. Um 1500 nach Christi ist Tomas (Hugh Jackman) in dem von Inquisitionen gebeutelten Spanien auf der Suche nach dem Baum des Lebens, dessen Saft er Königin Isabel (Rachel Weisz) aushändigen soll. Die Rinde dieses Baumes, von Forschern im südamerikanischen Regenwald entdeckt, rettet fünf Jahrhunderte später einem sterbenden Affen das Leben, eine herausragende Erkenntnis für den Wissenschaftler Tom Creo (ebenfalls Jackman), der den Tod seiner leidenden Frau Izzi (nochmals Weisz) nicht erträgt. Während ihr Gehirntumor stetig voran schreitet, sieht Tom endlich einen Weg die Sterblichkeit zu besiegen. Izzi dagegen akzeptiert den Lauf des Lebens und setzt ihr Buch „The Fountain“ über einen spanischen Eroberer fort. Weitere 500 Jahre später treibt weit in der Zukunft eine Blase, mit ihr wieder der Baum des Lebens und ein kahlköpfiger Mann (abermals Jackman), in den Schweren des Weltalls, scheinbar herren- und rastlos umher.

Die genauen Zusammenhänge erschließen sich erst Stück für Stück im Fortgang des Films. Beginnend mit schnellen Montagen der einzelnen Ebenen findet sich kein Ruhepol, keine helfende Hand, die leitet und erklärt. Der Zuschauer ist auf sich allein gestellt, in der schieren Masse an ungestellten Fragen oder versuchten Antworten verloren. „The Fountain“ schwirrt nach dem Abspann unruhig im Kopf, wie einem kürzlich Erschrockenen das Blut in den Ohren pocht und Adrenalin die Nervenbahnen durchquert. Leicht entschlüsselbar sind dabei die wenigsten Bestandteile dieser interpretationsfreudigen, Zeit und Raum brechenden Romanze. Dagegen erweist sich die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit scheinbar schnell als sicher, erzählt Izzis Buch doch von Tomas und seiner Jagd nach der Ewigkeit des Seins. Das als „Jetzt“ klassifizierbare ist in jedem Fall der deutlichste und leicht verständlichste Part der Trilogie. Liebe im natürlichen Sinne bestimmt das Verhältnis von Tommy und seiner Frau, ein reines Bündnis, nur durchbrochen von der währenden Angst des Todes. Wissenschaftler wie er ist, will, ja kann er den Verlust nicht Teil des Lebens nennen, eine Krankheit, so wie der Tod eine ist, müsse heilbar sein.

Die Suche nach der Unsterblichkeit gliedert im Gegenzug in der Vergangenheit in eine nicht vorhandene Todesangst, die dem Menschen die Fähigkeit zu Fühlen längst genommen, den zielgerichteten Tötungstrieb jedoch verstärkt hat. Der Baum des Lebens rächt sich an dieser Tracht des ewigen Daseins und zerstört die habgierigen Ausflüchte des Räubers. Ein Zitat Edvard Munchs fällt dazu verbildlicht im Film: „Aus meinem verwesenden Körper sollen Blumen wachsen, und ich bin in ihnen und das ist Ewigkeit.“ Die Blume steht in diesem Kontext als das einzig reine Wesen, welches die Unendlichkeit verdient. Tomas ist in diesem Moment zu sehr von Heilung besessen, doch die sprießenden Pflanzen stehen für eine Wiedergeburt, die den Willen nach Unsterblichkeit in eine geistige Einigkeit bündelt, die Wissen und Ruhe herbeiführt, einen ewigen Frieden. Der Baum des Lebens schenkt in seiner eigenen Form Unendlichkeit, er bindet den Strebenden jedoch bis in alle Zeit an sich, gibt ihm das was er begehrt, zu dem vorläufigen Preis des eigenen Todes. Die Ewigkeit ist Gut und Böse, Segen und Fluch. Der biblische Hintergrund setzt in dieser Episode besonders stark ein, gesprochen wird im 1. Buch Mose nicht nur vom Baum des Lebens, der Baum der Erkenntnis spielt ebenfalls eine elementare Rolle. Der dominikanische Mönch schlägt ebenso wie die Königin gegenüber Tomas die Warnung aus, nicht den falschen Baum zu wählen, der Verzehr „Gottes Früchte“ führe der Bibel nach den sofortigen Tod herbei.

Im Weltraumsegment ist der Segen des ewigen Lebens schon längst für Tom erloschen. Der einstige Traum stilisierte sich zunehmend zu einer auswegslosen Situation, die zwar Erleuchtung und Ruhe herbeiführte, nicht aber den Schmerz der Liebe unterdrückte. Izzis Wunsch, die Fertigstellung ihres Buches, schwebt wie die Blase im Raum – unvollständig, lebensnotwendig. Den wahren Geist der Unendlichkeit hat Tom noch nicht erreicht, die Bindung zu seiner Frau nicht wiederhergestellt. Seine Suche gilt einem Ort der Reinkarnation, einer Einigung, die er nur durch eine Einigung seiner selbst herbeiführen kann. Abhängig von der Rinde des Baums des Lebens ist seine Angst vor dem Tod kaum versiegt, die Verzweiflung seine Aufgabe nicht zu erfüllen, umso größer. Xibalba, ein sterbender Stern, stellt sich als endgültiges, lang erwartetes Ziel von Toms Reise heraus. Ein Ort, an dem Tote wiedergeboren werden.

Diese drei Zeitwelten spielen sich zusammen, sie zeigen ein identisches Bildnis auf der Suche nach dem ewigen Leben. Die Wiedergeburt und die Folgen des Todes, die Angst des Verlusts: In jeder Epoche wiederholt sich die Geschichte. Reinkarnation steht für Aronofsky nicht für eine neue Möglichkeit sein Schicksal zu verändern, sondern es wieder und wieder zu erleben, bis zur Erlösung. Izzi wünscht sich von Tommy einen Spaziergang, als der erste Schnee gefallen ist – die Suche nach einer Heilung des Gehirntumors seiner Frau stellt für ihn allerdings eine höhere Priorität da. Mit dieser Forschung vergisst er sein momentanes Leben, das Hier und Jetzt, auch die Chance jede Sekunde mit seiner sterbenden Frau zu verbringen. Das Leben in seiner reinen und rechten Form steht der Suche nach dem Leben untergeordnet dar. Er haftet sich indes in dieser Zeit an den verschwundenen Ehering, denselben, den Königin Isabel Tomas mit auf die Reise gab, denselben, den Tom in der Zukunft nach langen Jahren bereit ist wieder zu tragen. Statt des Ringes gleicht er den Verlust dessen mit einem Tattoo aus, dem ersten – der erste Ring gleichbedeutend den Lebensringen eines Baumes.

Faszinierend sind die gleichartigen Elemente jeder Episode, Zeichen, die überall Verbindungen erstellen, des Rätsels Lösung in sich tragen. Aronofsky ist hingegen ebenso bei „The Fountain“ nicht bereit, den Schlüssel auf der Zunge zu tragen, ein Sinnbild für spröde Unterhaltung stellte er ohnehin nie dar. Seine Vision war eine Zeit umspannende Liebesgeschichte, vielleicht ursprünglich teurer angesetzt und mit bekannteren Schauspielern im Nacken, die Idee allerdings gleicht der nun präsentierten. Versucht man den Blick durch Aronofskys Augen, würde dieser herbe Rückschlag, die folgende, lange Wartezeit auf einen erneuten Drehbeginn, neue Schauspieler, ein niedrigeres Budget, als eines klar aufleuchten: Schicksal. Wie hätte „The Fountain“ mit Brad Pitt und Cate Blanchett ausgesehen? Wie der spanische Urwald in seinen ganzen Weiten geglänzt? Vorstellungen, die passé sind, durch Rachel Weisz, Hugh Jackman und glatte Symmetrie ersetzt wurden. Tatsächlich ist die ursprüngliche Zusammensetzung nicht nur kaum, sondern gar nicht vorstellbar.

Begnügte sich „Requiem for a Dream“ noch mit einem grandiosen Leitthema, nutzt „The Fountain“ viel eher ein gigantisches Repertoire an Streicherelementen, bebenden Brisen, die wie aus einem Guss Vollkommenheit bilden. Zeugen die Seiten der Geigen von einem aufgelöst, verzweifelten Tonfall, schlagen Trommeln ein, ein Bann, aus dem man sich schwerlich entziehen kann. Punktiert und fein spielt sich Komponist Clint Mansell auch zu seinem, und des Films, großem Finale auf. Immer mehr treibt er den Rhythmus an, setzt ein letztes Mal aus, nur um wieder und wieder aufzubegehren. Bis Tom Creo sich dem Drang hingibt. Selten zuvor stand eine Filmmusik, manchmal gern als wenig erhabener Beischmuck gesehen, in dieser Form in Einklang mit Geschichte und Bild. Nahtlos schweift sie immer wieder neben der Szenerie, spielt sich nicht in den Vorder- oder Hintergrund – beileibe, sie tanzt mit der Kamera, mit den Spezialeffekten, die keine sind (chemische Reaktionen verliehen eine organische Bildästhetik). Ohne Zweifel ist Aronofskys Film heikel, seine Vision ungewöhnlich. Er nimmt dem Zuschauer sein letztes Hemd, jedwede Orientierung, sofern dieser bereit ist, alles zu geben. Belohnt wird er jedoch mit etwas Außergewöhnlichem, in solch vollkommener Schönheit, die Wände einreißen könnte. Ein visuelles, menschliches Werk.

Meinungen

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