In der Kindheit haben wir alle in unseren Zimmern heimlich gestaunt, gewütet, gebastelt an alternativen Fantasiekonzepten, energisch, schweißnass, mit angehobener Stirn, und unsere Konstruktionen unter das Bett hastig geschoben, falls jemand die quietschende Tür einen Spaltbreit öffnet und ein scharfer Schatten- oder Lichtbalken den Boden aufspießt. Und zu unseren Geheimnissen vordringt, denn die waren nie sicher vor jener Welt, die wir modellieren wollten. Angezogen von einer fremden Macht systematischer Verformung, die uns hineingezogen hat in die Unvergänglichkeit der Möglichkeit, war Lego Verwirklichung unserer unterdrückten Träume und dessen unmöglicher Erweiterung. Das Bauen, Aufeinanderstecken und schließlich das hektische Verrutschen innerhalb eines verschachtelten Baukastensystems, entweder nach in Plänen bildhaft dargestellten Arbeitsschritten oder per freier Hand, ließ uns vergessen, wo wir waren, aber nicht, wohin wir wollten: in die Unendlichkeit gestalterischer Vorstellungskraft. Oder um schlicht die Langeweile des von Regeln reglementierten Sohn- und Tochterseins mit der abenteuerhaften Erkundungsromantik des Kindseins zu bekämpfen.

Heute, in Zeiten der Reproduzierbarkeit, Wiederholung und Dauerbeschallung (ein Programm, das ironischerweise Lego wie keine zweite Spielzeugfirma ankurbelte), dürfte es ein logischer Abschnitt in der Bauanleitung künstlerischer Agonie gewesen sein, dass sich irgendwann Hollywood dazu verleitet sah, dieses Plastikmärchen aus Freude und Verschwendung auf die Leinwand loszulassen. „The Lego Movie“, in seinem schrankenlosen Eifer, an das lediglich unter der Erwachsenenschicht verschüttete Herz des Kindes in den durchtriebensten Verrenkungen zu appellieren, ist demzufolge ein ungebändigter, ungeheuerlich überveranschlagter Film, der mit seinem Sujet spielt, es mit aller gut gemeinten Freundlichkeit krümmt und verbiegt. Voller Gadgets, Bonmots und Geschenke servieren die beiden Regisseure Phil Lord und Christopher Miller vor allem Fanservice, Eskapismus, Firlefanz, umschlossen von einer prall überfüllten Weltenarchitektur quadratisch-runder Ausstanzungen, in der die Oberflächentextur physikalisch-biologischer Vorgänge keiner Organik mehr untergeordnet, sondern stockenden Winkeln und unbeherrschten Abknickungen ausgeliefert ist. Schauwerte naturalistischer Unvollkommenheit, eingeteilt in grobklotzige Raster.

Nach Jahren des aufgewärmten Blockbuster-Doseneintopfs hält Hollywood aber endlich einmal wieder sein Versprechen. Indem es mit Lego kollaboriert, extrahiert es seinen Kerngedanken: mitzureißen mithilfe der Überrumpelung und einer Vision, fantasiedurchtränkt zu verbinden und zu fabulieren. Speziell die krachenden, Purzelbaum schlagendenden High-Tech-Actionsequenzen sind ein Meisterwerk der Verknüpfungstechnik, wenn bei mörderischem Tempo arbeitsfleißig von Legomodell zu Legomodell gewechselt wird (in einer verblüffenden Szene gar durch ein Einfamilienhaus!), indem sich gerade die in unmittelbarer (Luft-)Nähe wirbelnden Bauteile neu zusammensetzen. Sie, die Transformationsmontagen, ähneln gewissermaßen dem Ehrgeiz, der in verlangsamter Form unsere Kreativität beim Zerstören und Errichten einst entfachte. „The Lego Movie“ verweist fortwährend auf eine Ode an die Entfaltung des freien Geistes sowohl in fiktiver als auch in realitätsgebundener Hinsicht (beide Wirklichkeiten fließen am Ende doppelbödig ineinander). Ein freier Geist, der fernab von Anleitungen auch ohne absolutistische Fremdeinwirkung zu einer Ideenmaschine erblühen kann, notfalls die Welt zu retten.

Da der Film jedoch ausschließlich seine Zielgruppe im Auge behalten will und muss, stützt er sich nicht gänzlich auf seinen angerissenen Totalitarismus, wo das kontrollwütige Böse (ein wie in Billy Wilders „Das Appartement“ anzutreffender, schöner Einfall: die gleichgeschaltet arbeitenden Roboter) das freidenkende Gute bändigt. Des Films filigran eingewickelte Systemkritik ist wenig erbaulich, umso tatkräftiger versuchen Lord und Miller im Austausch dafür das Idealistisch-naive und Prinzessinnenhaft-humanistische des Lego-Regelwerks zu kopieren. Darin gipfelnd, dass sich beide Parteien zu einer Einigung zwingen, anstatt den anderen des Friedens wegen zu vernichten. Subsumieren lässt sich „The Lego Movie“ daher als altertümliches, martialisch-galaktisches Fantasymärchen mit den Einflüssen des modernen Genrekinos, sich dem Außenseiterhelden zu verschreiben, der mittels einer Prophezeiung und eines mystischen Artefakts jegliche Emanzipationsstationen durchläuft, der ihn vom Verlierer zum Anführer zum Helden formt. Zwischendrin trifft er auf ein buntes Team, das verlernt hat, miteinander zu arbeiten und auf einen Anführer wartet, der es vereinigt.

Ideologisch unproblematisch ist der Film an dieser Stelle nicht. Ob Batman (beste Figur), Green Lantern (anstrengendste), Superman (überflüssigste), Han Solo (pointierteste) oder eine Planetenschau vom Wilden Westen bis zur Lego-Version Mittelerdes (durchaus poppig): Mit „The Lego Movie“ deckt der dänische Wunderbauer seine gesamte Produktpalette ab, verankert sie in albernen bis lakonischen Cameo-Stichwortmomenten und preist sie einhellig. Die Grenze zum hochglanzverpackten, monumental-überlangen Werbefilm liegt demnach nicht weit, weil der Film seine Manipulationsmechanismen mit dem popkulturellen Referenzbrimborium der Postmoderne abschwächt. Allerdings derart kühn, dass das Atmen schwerfällt. „The Lego Movie“ ist eine Wundertüte, die vorbildlich unter Farben und Fallen eine Agenda bewirbt. Wie Bad Cop, der wichtigste Handlanger des Tyrannen und überdies die ambivalenteste Figur, zeigt sich der Film von einer schizophrenen Seite, gezeichnet von Reibungs- und Angriffsflächen. Ein Glück, dass die positive Seite überwiegt – das Talent, sich in Geschichten fallen zu lassen. „The Lego Movie“ ist kein unmenschlicher Blockbuster. Das ist befreiend – und jetzt ab ins Spielwarengeschäft.

Meinungen

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