Die tragische Ikone Kurt Cobain. Was ging wohl vor im Kopf dieses Mannes? Im Geist eines Megastars, der nie einer sein wollte. Ein Mann, der zum Sprachrohr erhoben wurde von einer Generation, die mit selbstverliebten Rockgöttern, Griffbrettwichserei und Dekadenz nichts mehr anzufangen wusste. Als das neue heiße Ding namens Grunge Songs über willige Girls und endlose Feierlaune in die Bedeutungslosigkeit katapultierte, standen Cobain und seine Band Nirvana an der Speerspitze dieses Siegeszugs der Alternative-Bewegung. Wie hat er diese vielleicht letzte aufregende Revolution der Pop-Kultur erlebt? Hat er sich schlapp gelacht über seinen vermeintlichen Status? Oder war er wirklich nicht für den Erfolg gewappnet, der unvermittelt über ihn hinwegrollte? Wie auch immer: Das kurze und bewegte Leben Cobains, dessen selbst gesetzter Schlussakkord am 5. April 1994 verstummte, wurde schon so oft aufgeschlüsselt wie seine Musik. Nun bietet „Cobain – Montage of Heck“ erstmals eine intime Betrachtung des gefallenen Idols und kommt der Beantwortung dieser Fragen am nächsten.

Immerhin ist es kein Altar, den Brett Morgen zu Ehren seines Titelhelden errichtet. Mit „Crossfire Hurricane“ blickte der Regisseur noch zurück auf die illustre Karriere der Rolling Stones. „Cobain – Montage of Heck“ hingegen macht einen gewaltigen Schritt weg von all den bekannten triumphalen Livemomenten und dem wahnsinnigen Höhenflug Nirvanas. Morgen interessiert sich nicht für den Schutzpatron der Depri-Fraktion. Nicht für das Mitglied des Club 27, das gleich neben Jim Morrison, Brian Jones, Jimi Hendrix oder Janis Joplin anzusiedeln ist. Unter Schichten mythischer Verklärung sucht Morgen den Menschen Kurt Cobain. Nineties-Nostalgie? Fehlanzeige. Und auch ihr lieben Verschwörungsfanatiker, die ihr durch den sensationslüsternen „Kurt & Courtney“ von Nick Broomfield angestachelt wurdet, lasst eure Mordtheorien bitte in der Schublade.

„Cobain – Montage of Heck“ ist das erste filmische Denkmal, das mit dem Segen von Cobains Familie entstand. Aber nicht nur dadurch unterscheidet sich das Werk von den Ergebnissen vorangegangener Gralssuchender. Morgen und sein Team erhielten Zugang zur Schatzkammer privater Notizen, Heimvideos, Tonaufnahmen, Zeichnungen und Skulpturen. Wie schon in „Kurt Cobain – About A Son“ von AJ Schnack, meldet sich Cobain in Mitschnitten zu Wort. Jedoch nicht nur in Gesprächen, die er für ein Buchprojekt führte. Wir begegnen ihm als Zeichentrickfigur, im Kreise seiner Familie, im eigenen Heim mit seiner großen Liebe Courtney Love. Selbst seine Kunst wird lebendig, unterstützt durch die Äußerungen seiner Eltern und Geschwister. Fast komplett außen vor bleiben dabei Weggefährten des Musikers Cobain. Die Anwesenheit von Krist Novoselic als Bandmitglied und langjährigem Freund bildet die einzige Ausnahme.

Wir erleben die Geschichte eines kleinen übersprudelnden Energiebündels, das nach der Scheidung der Eltern zum Problemkind heranwächst. Zwischen Verwandten hin- und hergeschoben, kommt Kurt die aussichtslose Tristesse der kleinstädtischen Heimat immer erdrückender vor. Auf frauenverachtendes Machotum, rassistische Idiotie und Bigotterie entwickelt er einen lebenslangen Hass. So ganz passt er nirgendwo hinein – nur in seine eigene Welt. Dort findet Cobain Erfüllung in seinen künstlerischen Arbeiten und schließlich in der ungezügelten und befreienden Kraft des Punk. Er brüllt sich den Zorn von der Seele, entlockt seiner Gitarre monoton stampfende wie auch melodiöse Songs. Kurt gründet Nirvana und nach endlosen Anstrengungen erlebt die Band den großen Durchbruch. „Nevermind“ nennen sie ihr Album, das Verkaufsrekorde aufstellen und Musikgeschichte schreiben wird.

Ein wenig von der Rampensau im Schlabberlook bekommen wir natürlich auch geboten. Kurt lässt immer größere Massen jubeln. Er kriegt aber auch immer mehr Mikrofone ins Gesicht geschoben. An einer Stelle gähnt er während des Interviews, dann kokettiert nur noch mit dem Blitzlichtgewitter. Mit dem Auftritt von Courtney Love wird der Rockstar endgültig zum Freiwild der Pressemeute. Kurt und Courtney heiraten, leben als chaotisches Pärchen entgegen den Erwartungen der Erwachsenenwelt und spritzen beide Heroin. Vor der Geburt von Töchterchen Frances Bean eskaliert der Irrsinn. „Cobain – Montage of Heck“ zeichnet das beklemmende Bild einer sensiblen Seele, die Halt und Anerkennung sucht. Am Ende entgleitet ihm beides mit fatalem Ausgang. Das Jugendamt und verleumderische Schmierfinken setzen dem Ehe- und Elternpaar Cobain zu. Mit der neugeborenen Frances Bean gibt es wahrlich herzerwärmende Momente des Glücks. Kurt, der seine Tochter abgöttisch liebt. Im verstörendsten Bild des Films aber zugedröhnt alle Mühe hat, sie auf dem Arm zu halten. Wir sehen einen Mann, der seinen inneren Dämonen nicht anders zu entrinnen weiß. Der Zauberblase des Heroinchic versetzt Morgen hier einen denkwürdigen Todesstoß.

Nein, den ganzen Weg bis zum Ende geht Brett Morgen nicht mit. „Cobain – Montage of Heck“ beendet seine Narration in den turbulenten Monaten zwischen dem letzten Studiovermächtnis „In Utero“ und einer Europatournee, an deren Ende Cobain mit einer Überdosis ins Krankenhaus eingeliefert wird. Bis dahin vermittelt der Film dem Zuschauer sehr eindringlich, welch dunkle Wolken über diesem Menschen hingen. Womit aber auch die finale Frage nicht für jedermann gleich befriedigend beantwortet werden wird. War sein Suizid die Fortführung dessen, was laut Courtney Love mit einer Überdosis begann, die Kurt sich aus Verzweiflung setzte? Weil sie darüber nachdachte, ihn zu betrügen? Auch die dargebotenen Textzeilen und Aufzeichnungen können dies letzten Endes nicht klären. Denn sie sind Fixpunkte ohne Koordinatensystem. Wirken manchmal herangezogen, um Kurt Cobains zunehmend dunklere Stimmung zu verdeutlichen. Aber wie ernst sind diese Worte zu nehmen? Wenn schon das wiederkehrende Abort Christ selbst unter der Liebeserklärung an Courtney steht. Was also ist schlechter Scherz, was ungehörter Hilferuf?

Ein Motiv setzt sich in den Beschreibungen über Cobain stets fort: sein teils morbider Humor. Auch dieser ist in Morgens Dokumentarfilm vorhanden, wird dann zunehmend verdrängt. Verständlich, wenn wir die äußeren Umstände miteinbeziehen. Es stellt sich aber auch ein wenig die Frage, inwieweit dieser Film nicht auch dem düster romantischen Bild des Titelhelden erliegt. Ob die Sichtweise der Angehörigen nicht ein Quäntchen zu forciert in Richtung Abgrund zusteuert, der Cobain schon in Jugendjahren zugewunken hat. „Cobain – Montage of Heck“ ist keineswegs ein schlechter oder befangen wirkender Film. Er ist aufrüttelnd und macht die Person Kurt Cobain bis jetzt wohl am ehesten greifbar. Am Ende steht nur die traurige Erkenntnis, dass wir Kurt halt nie verstehen werden können. Sein Schädel wird uns eben doch verschlossen bleiben.

Meinungen

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