Zugegeben: Der deutsche Titel „Weggeworfen“ ist ein wenig zu brav, denn „Trashed“ – so der englische Originaltitel – impliziert nicht bloß, dass wir unsere Erde wegwerfen, sondern sie vor allem mutwillig zerstören, was aber weniger der Übersetzung geschuldet ist, sondern vielmehr an der Semantik des deutschen Begriffs per se liegt. In „Weggeworfen“ blickt die Regisseurin Candida Brady gemeinsam mit Oscar-Preisträger Jeremy Irons auf die anhaltende Umweltzerstörung, indem sie nicht einfach nur unseren CO₂-Ausstoß analysiert, sondern Müll als das Hauptrisiko schlechthin entlarvt. Dieser Dokumentarfilm zeigt uns Bilder einer zu sterben drohenden Schönheit – ob in Indonesien, Island, Frankreich, den USA, am Polarkreis oder in Vietnam: Die Umweltzerstörung, die wir zu verantworten haben, ist unmittelbar zu erkennen.

Im Fokus von „Weggeworfen“ steht eine ganze Industrie, die sich mit Müll und Müllbeseitigung befasst. Jene globale Industrie, samt ihren Mülldeponien, Müllbergen, giftigen Abgasen und chemischen Abfallprodukten, gäbe vor das Müllproblem zu lösen, doch in Wahrheit verstecke und vertusche sie es nur. Plastik – unser unverwüstliches Super-Verpackungsmittel – bedroht die gesamte Nahrungskette, denn die dabei freigesetzten Chemikalien lagern sich in unseren Organen ab, machen unfruchtbar, verändern die DNA, sind Auslöser für Geburtsdefekte. Müllverbrennungsanlagen verpesten unsere Luft und die Ozeane drohen in unserem Müll zu ertrinken. Der Dokumentarfilm zeigt anhand zahlreicher Beispiele, wie ganze Gemeinden das volle Ausmaß dieser Nebenwirkungen am eigenen Leib zu spüren bekommen und enthüllt dabei mehr oder weniger überraschende Wahrheiten über die potenziellen Gefahren für unser Ökosystem, unsere Gesundheit und die Gesundheit folgender Generationen. Kurzum führt „Weggeworfen“ uns eiskalt vor Augen, dass die Art wie wir leben, mit unseren alltäglichen Gewohnheiten, fatal und vermessen ist, und ist dabei in seinen Behauptungen schlüssig und stichhaltig. Müll ist ein Problem globalen Ausmaßes, an dem jeder seine Teilschuld zu tragen hat und die jeder früher oder später zu spüren bekommt.

Teilweise steht Jeremy Irons jedoch zu sehr im Fokus. Denn sein selbstdarstellerisch wirkender Auftritt, seine Selbstinszenierung im lässigen Boho-Gewand, lenkt zu sehr von dieser sehr ernsthaften und drängenden Problematik ab. Als Produzent von „Weggeworfen“ ist es natürlich legitim, dass er diesem zweifellos wichtigen Thema seine Stimme, sein Gesicht leihen will – doch seine fest verankerte (Über-)Größe und seine Omnipräsenz sind hinderlich für den Erfolg, die Glaubwürdigkeit dieser dokumentarischen Reise. Es missfällt, dass Irons unseren wahnhaften Konsum, die Wegwerfkultur, verurteilt, wo er doch selbst Herr über mehrere imposante Anwesen und Schlösser auf den Britischen Inseln ist und sich nicht gerade der Askese verpflichtet hat. Predigerhaft verurteilt er zudem den Müll, den Raucher verursachen, obwohl er selbst zeit seines Lebens gefühlt mindestens das gesamte Lager einer Tabakfabrik weggeraucht hat. Dass sich Irons und die gesamte Filmcrew um Candida Brady während der Dreharbeiten einen ordentlichen Carbon Footprint zugelegt haben, während sie den ganzen Globus bereisten, macht es nicht besser.

Die Vermutung, ein weniger bekannter Botschafter hätte dieser Umweltdokumentation mehr Tiefe gegeben, liegt leider nicht fern. Auch der von Vangelis komponierte Soundtrack versucht dem Film auf übertriebene Weise eine Dramatik zu verleihen – ein Hoch auf das Namedropping. Je weniger Fakten man über Irons’ Privatleben und das übrige Drumherum kennt, desto unvoreingenommener kann man sich diesem relevanten Dokumentarfilm widmen und der tiefen, charakteristischen Stimme des britischen Film- und Theaterschauspielers lauschen, während man Bilder der Zerstörung und des Elends erträgt. Dennoch lernen wir durch diesen Film Wissenswertes, das wir schleunigst in die Tat umsetzen sollten. Auch komplexe wissenschaftliche Vorgänge werden verständlich erklärt.

Wer die ernüchternden Werke Rachel Carsons noch nie gelesen hat, wird wahrscheinlich erschüttert sein, wenn er sich eingestehen muss, dass Müll jeden angeht. Es ist ein politischer Weckruf, der prägnant und aktueller denn je ist. Positiv zu werten ist, dass „Weggeworfen“ nicht wie eine Hiobsbotschaft militanter Umweltschützer daherkommt, sondern gegen Ende so etwas wie eine Botschaft der Hoffnung vermittelt. Dieser Dokumentarfilm ermutigt uns, auf Alternativen zu Plastik und Erdöl zurückzugreifen und die Müllindustrie gravierend zu verändern. Frei nach Einstein: Ein cleverer Mann löst ein Problem. Ein weiser Mann lässt es gar nicht erst entstehen.

Umsetzung für das Heimkino

Die DVD-Veröffentlichung als solche ist leider eher schwach, wenn nicht gar als enttäuschend zu bewerten. Die zahlreichen Grafiken, auf die der Film des allgemeinen Verständnisses wegen vermehrt zurückgreift, sind nur in deutscher Sprache illustriert, zudem sind keine englischen Untertitel verfügbar. Beide Punkte stellen bedauerlicherweise zwei absolute K.-o.-Kriterien für Vorführungen in Klassenzimmern oder Seminarräumen dar, was gerade bei einem Dokumentarfilm bedauerlich ist. Statt zusätzlichem Bonusmaterial, das dem Käufer gegebenenfalls Lust oder Ansatzpunkte zur Weiterforschung verschaffen könnte, findet man nur kurze Trailer zu weiteren gängigen Öko-Doku-Kassenschlagern. Dass die DVD in eine Plastikhülle verpackt ist, und nicht in einer (zudem ansprechenderen) Papphülle daher kommt, mag wie ein Luxusproblem wirken, doch angesichts der Thematik von „Weggeworfen“, wirkt dieses zusätzliche Manko, als würde man ein Produkt verkaufen wollen, das seinem eigenen Anspruch selbst nicht gewachsen ist.

Meinungen

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Kinostart: 16.02.2017

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