Unwahrscheinlich viel verknotet „Citizen Kane“, längst nicht mehr Film, sondern Eigen- und Schutzmarke. Der Film karikiert mit psychologischem Feinsinn die unterschwelligen Akzente einer Kapitalismus- und Ökonomisierungsfarce (obgleich Orson Welles diese Aspekte freilich anlegt, aber eher verschroben und komisch konturiert), als sie zum dramaturgischen Hauptschwerpunkt zu erheben. Ansätze des archetypischen „Zeitungs- und Mogulfilms“, der auch immer offen idealistisch gegen das System agiert, treten zwar offen an die Oberfläche, aber „Citizen Kane“ ist augenscheinlich ein philosophisches Essay über multiperspektivisches Erzählen. Mithilfe der verschachtelten Form entsteht bei Welles eine andersartige, postmodern sichtlich wegweisende Perspektive fragmentierter Vergangenheit, die den Menschen insofern zum Subjekt klassifiziert, wenn er sich an die kleinen Dinge erinnert, die er verlor, etwa an ein Mädchen oder an einen Schlitten. „Vergangenheit“, davon zeugen ebenso die Rückblenden, ist ein Puzzle der Kleinigkeiten, die in Erzählungen zugunsten der „großen Dinge“ umso vergänglicher (gleichfalls aber auch verzerrter) erscheinen. Dem stellt sich Welles entgegen, weil seine Rückblenden nie subjektiviert sind und folglich ebenjene „großen Dinge“ aussparen und pointiert verkleinern.

Davon abgesehen scheint dieser historische Film weitgehend das zu bestätigen, was allgemein über ihn geschrieben, gedeutet, gemutmaßt wird. Stichpunkte wie Altern, Flüchtigkeit, Jugend, unzureichende Fürsorge sowie pathologische Liebessuche ergeben ein Sammelsurium dessen, was gemeinhin einer psychoanalytischen Deutung über Charles Foster Kane selbst Nachdruck verleiht, weitergefasst allerdings zur Parabel über den Menschen und dem ihm inhärenten Widerstreit zwischen Frohnatur und Monstrum avanciert. In Anbetracht des Entstehungszeitraumes, der teils faschistisch-brutalen Architektur und der allerletzten Szene (ein schwarzer Verbrennungsrauch) erweitert sich „Citizen Kane“ gar zu einer Parabel über eine todtraurige Gewissheit, wonach unwiderruflich alle Dinge, insbesondere die kleinen, zerstört werden, die einst ein Leben zusammengesetzt haben. Orson Welles’ Formendialektik von „Groß“ und „Klein“ ist formal herausstechend, gewiss: mathematisch exakt getrickste Tiefenschärfe, perpetuierende Plansequenzen, harte Kontraste. Vor allem jedoch inhaltlich augenfällig koppelt „Citizen Kane“ sein Formenspiel an eine mitfühlende Hymne an die Kleinteiligkeit eines in seiner Widersinnigkeit zerberstenden Individuums.

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