„Das Schloss im Himmel“ (1986) war das erste Anime des 1985 gegründeten Studio Ghibli und der dritte Film von Hayao Miyazaki nach „Das Schloss des Cagliostro“ und „Nausicaä aus dem Tal der Winde“. Die Suche nach der magischen Stadt Laputa ist der zentrale Kern der japanischen Geschichte, die ein europäisches Setting erhält. Beeinflusst von Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ webt sich der wohl wichtigste Animekünstler aller Zeiten eine traumhafte Steampunkwelt zusammen, die durch ihre sympathische Detailarbeit sowohl Alt und Jung begeistern kann.

Es gibt in Miyazakis Filmen oft den Konflikt der Pubertät, dem ersten Schritt vom Kind in Richtung Erwachsenwerden, doch seine Protagonisten verlieren durch ihre eigene Reifung niemals das gesunde Maß an Kindlichkeit. Daher sind sie so vielen Menschen nahe und man sieht ihnen gerne zu, wie sie ihre Abenteuer bewältigen. Miyazaki macht Filme für alle Altersklassen, er bietet den Jüngeren eine bezaubernde Welt der Fantasie und füllt sie für die Älteren mit menschlichen Grundproblemen. Er zeichnet niemals in Schwarz-Weiß, sondern verziert die Schwächen und Stärken der Menschen mit seinen buntesten Farben, bleibt dennoch minimalistisch in seinem Stil, indem er seine Striche auf das Nötigste reduziert und die Charaktere in einer kaum vergleichbaren Vielfalt präsentiert.

So ist Pazu, der Held des Films, ein ambitionierter Vollwaise, der unbedingt weiterführen will, was sein Vater anfing: Die schwebende Insel Laputa zu finden und auf ihr zu landen. Wie es das Schicksal will, landet zunächst ein Teil der Insel bei ihm: Prinzessin Sheeta, die wie ein eingeschlafener Engel vom Himmel in seine Arme herabschwebt. Ein mysteriöser, blauer Stein an ihrem Halsband leuchtet über der Minenstadt, die Pazu bewohnt – er verliebt sich mit sofortiger Wirkung in das junge Mädchen und kümmert sich von nun an mit größter Anstrengung um ihr Wohl. Sheetas Darstellung ist für den (männlichen) Zuschauer ein wenig irritierend, zum einen imponiert Miyazakis Malkunst immer wieder mit weiblichen Schönheiten, zum anderen bietet er mit ihr eine kindliche Figur an, die sogar konkret mit Pädophilie konfrontiert wird. Die süße Unschuld zieht nämlich ebenso die Erwachsenen an, hier spielt der Regisseur wohl auch mit der Grauzone der alltäglichen Sexualfantasien.

Menschen können mithilfe von Kristallen schweben, viele Situationen sind überspitzt und vollkommen unmöglich. Doch Miyazaki verschleiert jegliches Übermaß geschickt in seiner eigenen, gezeichneten Welt, die so anders und gleichzeitig liebenswert ist, dass es sogar einen Hauch von magischem Realismus à la García Márquez annimmt, die sich mit der Überlebenskunst von James Bond oder Figuren in alten Mangas paart und in äußerst humorvollen Gewässern badet. Hier meldet sich auch ein unheimlicher Vorteil gegenüber dem „echten“ Film: Nichts ist unmöglich, alles kann gezeichnet werden. Unendliche Möglichkeiten bedeutet unendliche Fantasie. Wenn die Kapitänin der Piraten, Dora, vom menschlich gewordenem Übel zur beliebten Mama wird, eine schwebende Insel friedliche Roboter als Gärtner bewirtet und Blitze wie Drachen speien, befindet man sich nicht mehr in der gleichen Realität, die man zu Beginn des Filmes zu besuchen glaubt. Deshalb ist jede Minute in diesem geschlossenen Werk, das wie jedes andere Anime von Miyazaki wie ein eigenes Universum betrachtet werden kann, goldwert und zeitlos.

Große Filme betrachten oft die inneren Übel von Systemen. In „Das Schloss im Himmel“ dreht sich vieles um Macht und Herrschaft. Sei es das Pars pro Toto in Form des Steines oder das Ganze in Form von Laputa: Beides ist ein Ausdruck von exquisiter Übermacht. Der Staat will diese Macht, doch hinter einem Staat steckt nicht nur ein einzelner Mensch, sondern sich gegenseitig ausspielende Egoisten, die das Streben nach jener Macht verbindet. Die Piraten wollen die glänzenden Schätze Laputas, Pazu will zunächst parallel zu seiner Unreife das weit entfernte Mysterium aufdecken, infolge seines heroischen Verhaltens, seiner natürlichen Reife wird Sheeta jedoch zum wahren Schatz, den er schon zu Beginn aus der engelhaften Schwebe fest an sich zieht.

Das Schloss im Himmel ist ein Ausdruck von einem sehnsüchtigen Wunsch nach einer extraterrestrischen Welt, ein Schloss, da es voller Anmut und Schönheit die Faszination begründet und im Himmel, da es wie ein Paradies weit hinter den Wolken auf die Suchenden wartet.

Meinungen

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