„David Bowie is god“, bricht es plötzlich aus einem Fan heraus. Nicht mehr und nicht weniger. G-O-T-T. So enorm ist seine Faszination für Bowie. Dieser kann nicht einfach nur Mensch sein. Er muss etwas Übernatürliches an sich haben, hat er doch über Jahrzehnte hinweg seine Fans ekstatisch gefesselt. Sie immer wieder schockiert, überrascht, begeistert, erregt – und sich dabei stets neu erfunden. Vom schüchternen Vorstadtjungen zu Ziggy Stardust zur Pop-Ikone, irgendwo zwischen Tradition und Radikalität. Genauso wie seine Outfits. Nehme man nur seinen berühmten Union-Jack-Gehrock, den er auf dem Albumcover von „Earthlings“ (1997) trägt. Entworfen wurde er von Designer Alexander McQueen und repräsentiert so ziemlich alles, wofür man Bowie lieben oder auch hassen mag. Der Mantel verbindet Popkultur-Referenzen mit Punk-Ästhetik: Löcher hinein gebrannt, zerfetzt und zerrissen, bleibt er dennoch das Symbol Englands, die Nationalflagge. Dieses Stück Stoff ist Teil der Musikgeschichte, genauso wie die vielen anderen Bowie-Souvenirs, die während seiner langen Karriere den Performer David Bowie immer wieder ein neues Gesicht verliehen. Er ist ein Mann mit unzähligen Masken und Rollen.

Im Jahr 2013 hat ihm das Victoria and Albert Museum in London ein Denkmal gebaut – und das zu Lebzeiten: eine riesige Ausstellung mit dem Titel „David Bowie Is“. Doch war sie nicht nur in London zu sehen. Seit Monaten reist sie nun durch die ganze Welt. Im Moment in Chicago, im Frühjahr 2015 in Paris. Wer sie nicht selbst besuchen konnte oder kann, hat die Chance, sich in der Dokumentation „David Bowie Is Happening Now“ von BAFTA-Gewinner Hamish Hamilton ein eigenes Bild zu machen. Ein Werbefilm über eine Ausstellung. Eine Doku über eine Ausstellung. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Kuratoren Victoria Broackes und Geoffrey Marsh führen als Moderatoren und Kommentatoren durch das Museum, gefilmt am letzten Abend der Londoner Ausstellung. So steht Broackes mit einer goldenen Glitzerbluse bekleidet – sie trägt riesige weiße Ohrringe mit David Bowies Gesicht darauf! – mal vor einem eingerahmten Songtext, natürlich handgeschrieben von Bowie selbst, und philosophiert über dessen gespaltene Persönlichkeit, während sie wenige Minuten später vor Publikum ihren Monolog weiterführt oder mal eben Jarvis Cocker, den Frontman von Pulp, auf die Bühne bittet. Er soll doch bitte ein paar Worte über David Bowie loswerden: Auch er stellt fest, dass Bowie wie ein Mädchen schreibe, worin bereits das Paradox zwischen Bowie als Performer und Person zu sehen sei. Cocker findet die richtigen Worte, um den Kult um Bowie zusammenzufassen: „He is one of us“. Bowie ist der Inbegriff von Freiheit und Individualität. Eine Projektionsfläche für alle „mishaped misfits“, die doch in uns allen lauern. Er ermöglicht jedem so zu sein, wie er ist. Vielleicht auch mal anders alles andern – jenseits der Norm. Ein Freak, ein Weirdo.

Halb Ausstellungstour, halb Talkshow, begleitet „David Bowie Is Happening Now“ den Performer auf all seinen Stationen. Aufgewachsen in der Vorstadthölle, wie es der „Buddha of Suburbia“ Hanif Kureishi so schön in der Dokumentation beschreibt, entzieht sich der junge Bowie schnell dieser befremdlichen Welt und findet in der Großstadt sein neues Zuhause. London, New York, Berlin. „Bowie is a creative powerhouse“, das niemals aufhört, sich zu bewegen. Seine Entwicklung illustrieren die unzähligen Outfits – die Originale, in denen Bowies DNA steckt, wie ein Fan erstaunt feststellen muss. Diese sind umgeben von gigantischen Leinwänden, auf denen Bowie-Videos gezeigt werden. Konzertmitschnitte, Musikvideos, Fotostrecken. Zwischen den abstrakten Schaufensterpuppen in den legendären Kostümen und den Projektionen tummeln sich die Besucher der Ausstellung, die ab und an auch selbst zu Wort kommen, um ihre Eindrücke über Bowie und die Ausstellung loszuwerden. Sie sind im Film jedoch nicht einfach nur Besucher. Sie sind verfremdete, komplett inszenierte Performer, bisweilen Karikaturen ihrer selbst. Wie Schaufensterpuppen, die in Slow Motion oder im Freeze-Modus über die Bildfläche schleichen. Wie ein Fremdpartikel.

Am Ende erinnern sie uns immer wieder daran, dass es ein Dokumentarfilm über eine Ausstellung ist und nicht über David Bowie. So erklärt auch Geoffrey Marsh in einem Interview mit dem dem NME: „It was designed as a film of the exhibition, not a film about David, and exhibitions have a lifespan, they’re not forever. If it does get done, it’ll be a temporary thing.“ Im Gegensatz zu Bowie selbst. Er ist bereits jetzt ein Pop-Gott.

Meinungen

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