Sind jetzt alle zufrieden? Wenn man sich zufällig durch die nächstbesten Haltestellen der Online-Unterhaltungsmaschinerie schlägt, möchte man glauben, das nichts energischer herbeigesehnt wurde als die Filmadaption des Comic-Charakters „Deadpool“. Jener Fanboy-Darling aus der Feder von Fabian Nicieza und Rob Leifeld erlangte neben seiner brutalen Schlitzerei als selbstheilender Merc with a mouth vor allem dadurch Popularität, indem er im Verlauf der Jahre zum selbstreflektierenden und direkt mit den Lesern korrespondierenden Kenner seines ihn darstellenden Mediums avancierte und dieses in anarchischer Laune verballhornte. Derbe Zoten und Insidergags gehören zu seinem ironischen Repertoire, wirklich daneben fallen die Provokationen aber nie aus, als dass sie die Markenzeichen seiner Marvel-Heimat wirklich umkrempeln. Der Mann ist hauptsächlich auf Spaß aus und zelebriert die Fantasien bluttriefender und pubertärer Katharsis – an der fehlenden Reife wird dann aber auch deutlich, wie schnell sich der Witz auserzählt hat. Es sollte somit wenig verwundern, dass eine originalgetreue Filmadaption genau dieselben Schwächen mit sich bringt. Und doch hat sich ein Ryan Reynolds – nach seiner missglückten Performance als Wade Wilson (so der bürgerliche Name des zweifelhaften Superhelden) in „X-Men Origins: Wolverine“ – mit Rückenwind der Fangemeinde jahrelang engagiert, dem roten Spandex-Blödi endlich inklusive R-Rating gerecht zu werden. Ist es ihm und Regisseur Tim Miller jedoch gelungen, mehr als einen gigantischen Gag aufzuziehen, den jeder von vornherein verstanden hat?

Eines muss jedenfalls gesagt werden: Wenn sich Studios derart schwer tun, eine vermeintlich riskante, doch im Endeffekt brave Persiflage per Mini-Budget zu unterstützen, ist der Rückschritt vorprogrammiert. So ist das grundlegende Narrativ, dem sich unser Titelheld ausgesetzt sieht, ein allzu gewöhnliches – denn sein Motiv ist die Rache gegen den skrupellosen Superschurken Ajax (Ed Skrein), der dem Vierte-Wand-durchbrechenden Protagonisten mit strenger Miene gegenübersteht. Das restliche Ensemble gebraucht in dieser Hinsicht meist dieselbe Methode, obgleich der engere Figurenkreis um Wade (ähnlich wie er selbst) durch mehr oder weniger obskure Referenzen zur Popkultur einen Zuschlag an Random jokes leistet. Allen voran Seelenpartnerin und Stripperin Vanessa (Morena Baccarin) hat es ihm angetan. Jene Romanze voller Schlagfertigkeiten wird sodann der Fokus einer Erzählstruktur, die ungefähr drei Anläufe braucht, um einen stimmigen Drive inne zu haben. Vor einer überlangen Rückblende erleben wir zunächst das akrobatische Ass in seiner mutierten Form als Supersöldner, der mit reichlich CGI-Moves, Zeitlupen-Blutbatzen und Shittalking zum forciert-zynischen Posing ansetzt und mit Blick zum Publikum eine erwachsenere Version von „Looney Tunes“, „Animaniacs“ und „Freakazoid“ zu emulieren versucht – kein Wunder, dass der Stoff vornehmlich adoleszente und hängen gebliebene Nerds anspricht.

In weiser Voraussicht wird jener Aspekt aber nicht überstrapaziert oder gar von den anderen Charakteren wahrgenommen. Als Kontrast fällt dem Film aber nicht allzu viel ein, sobald er den Werdegang von Wade zum Deadpool mit einer Konventionalität erzählt, die aus der Verknüpfung von Krebsdrama, entzweiter Liebe und modernem Mephisto mindestens die gleiche Menge aufrichtiger Emotion erwirken will wie eben „X-Men Origins: Wolverine“. Unter solchen Rahmenbedingungen ist das Unternehmen jedoch nur bedingt von Erfolg gekrönt, wenn es stets unter dem Schatten eines Gagkonzepts zu agieren versucht, das sich eigentlich jedem Ernst verweigern möchte – eine Widersprüchlichkeit, an der sich mehr an Stringenz verläuft, als dass interessante Ecken zum Anstoßen bleiben. Etwas mehr Spaß vermittelt die Konfrontation Deadpools mit den echten X-Men Colossus und Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand), die seine Blödeleien komplett abblocken, ihn zu rekrutieren versuchen und doch keinen Erfolg haben, obwohl seine Gegenwehr ausschließlich für ihn selbst schmerzhaft endet. Dass der Konflikt zwischen Konsens und Gegenpol das Herzstück des Herzfilms ausmachen sollte (wie Wade dem Krebs schließlich auch ein „Scheiß drauf!“ zuspielt), wird hieran am besten deutlich, der Umständlichkeit halber wird einem aber die behauptete Coolness Deadpools so hyperventiliert ins Bewusstsein gepusht, dass er einen abgestandenen Faker abgibt – der Dubstep-Rap, bei dem er sich selbst besingt, ist ein bezeichnendes Symptom dafür.

Die Zugaben von Gewalt, Sexismus und Roast-Humor, mit denen er kokettiert, können nicht kaschieren, in welch anstrengendes Korsett er sich zwängt, das auf den letzten Metern immer noch nicht fertig ist, neue Nebencharaktere für ein erweitertes Universum einzuführen und allesamt in einen Höhepunkt münden lässt, der mit der Entführung der holden Maid beginnt und mit einer gigantischen Zerstörungsorgie endet. Dass dabei einige Sprüche mehr als beim sonstigen Marvel-Output gerissen werden, ändert nur wenig am Eindruck der Mutlosigkeit, der sich durchaus auch an ein größeres Publikum zu wenden versucht und zumindest durch den Vorteil entkräftet werden kann, dass Reynolds in seiner Verkörperung Deadpools die absolute Hingabe ausstrahlt – auch jene zum schmerzfreien Quatschkopf. Fans können damit durchaus zufrieden sein. Jenseits dieses Standardsatzes lässt sich jedoch nur wenig über die Relevanz von „Deadpool“ äußern, so sehr er sein Potenzial zur Umkehrung der Verhältnisse verpasst und sich sogar vorangegangenen, weit fieseren Genrewerken wie James Gunns „Super“ geschlagen geben muss.

Meinungen

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