Nicht mal ein Jahr nach Neil Burgers Erstling kommt bereits der zweite Teil der „Divergent“-Reihe in die Kinos, basierend auf dem YA-Dreiergespann der New Yorker Autorin Veronica Roth. Mit „Die Bestimmung – Insurgent“ kündigt sich daher ein potenzieller Schnellschuss an, der inmitten kassenträchtiger Genre-Vertreter vom Schlage „The Hunger Games“ eine gewisse Relevanz aufrechterhalten muss – koste es an Qualität, was es wolle. So wirkt die Fortsetzung zweifellos auf vorgefertigte Formeln eingestellt, wobei Regisseur Robert Schwentke als Ersatzmann ohnehin eher Studiovorgaben nachkommt, anstatt eigenen Instinkten zu folgen. Ein Fortschritt im Vergleich zu seinem ähnlich unpersönlichen „R.I.P.D.“ (2013) ist aber allein dadurch gegeben, dass hier etablierte Figuren in ihrem Drang zur Befreiung weiterverfolgt werden und somit ein Grundinteresse am Franchise-Fortgang evozieren. Was allerdings abhandenkommt, ist jene ab und an spürbare Leichtigkeit, welche im Teen-Ensemble-Training des Vorgängers noch Sehnsüchte, Entdeckungen sowie einige schicke Popsongs hervorbrachte. Nun steht der Ernst der Revolution an – doch dieser wird gehemmt vom Frust der Flucht.

Das Sequel und seine Protagonisten müssen sich daher wieder (und ständig) in neue Regionen begeben, per konstruiertem Zufall auf Jäger, Verbündete und alte Bekannte im maroden Untergrund Chicagos treffen. Die Ungewissheit jedoch, mit welcher jene Wege eingeschlagen werden, spiegelt sich auch in der Inszenierung wieder, welche immense Anlaufschwierigkeiten hat, eine entschieden starke Richtung zu finden. Die flüchtigen Verfechter gegen das System sozialer Fraktionen – Tris (Shailene Woodley), Four (Theo James), Caleb (Ansel Elgort) und Peter (Miles Teller in herrlichem Ironie-Modus) – müssen sich dabei nicht nur gegen die Soldaten der Herrscherin Jeanine (Kate Winslet) verteidigen. Auch sogenannte Fraktionslose haben es auf sie abgesehen, während sie sich zu alledem auch noch scheinbar wahllos gegenseitig ausspielen. In jenem zunehmend verkomplizierten Kampfgetümmel hat es die emotionale Führung des Films schwer, eine prägnante Spur zu hinterlassen: Tris trauert weiterhin ihrer im Widerstand getöteten Mutter (Ashley Judd) nach und gibt sich für die widrigen Umstände ihrer Mitmenschen die Schuld, da sie als „Unbestimmte“ besondere und unliebsame Kräfte in sich trägt.

Im Verlauf des Films wird ihre geradezu prophetische Verantwortung der Befreierin bis hin zum demonstrativen Kurzhaarschnitt auf die Probe gestellt und sogar von der lachhaft plakativen Boshaftigkeit Jeanines ausgenutzt. Letztgenannte Eigenmacht gilt es übrigens wortwörtlich zu töten – vielleicht das direkteste Ziel des Films, aber dennoch so unmotiviert, wie der gleichsam atemlose und behäbige Plot an sich. Allen voran die Anführerin der Fraktionslosen und Mutter von Four, Evelyn (Naomi Watts in uncooler Goth-Mom-Aufmachung), besteht auf die Liquidierung der bösen Dame im blauen Anzug. Woher dieser offenbar private Hass rührt, bleibt im Verborgenen und wirkt eher wie ein hormoneller Konflikt unter Frauen im reifen Alter. Wohl auch deshalb distanziert sich Four von den Ambitionen seiner Frau Mutter, gemeinsame Sache gegen das Regime zu machen; zudem fehlt es ihm an einer souveränen Vaterfigur (Papa Marcus mag er nämlich auch nicht). Solche familiären Zwickmühlen bleiben unaufgelöst, dafür dürfen wohl die nächsten zwei Filme der Serie herhalten. Stattdessen müssen sich die jungen Retter futuristischen Gadgets, Justizsystemen und Truppen stellen, die in ihrer verdichteten Präsenz wenig Raum für Nachvollziehbarkeit oder Empathie lassen.

Dafür kommt eine Unberechenbarkeit ins Spiel, die inmitten des technokratischen Ambientes für Spitzen eskapistischer Heiterkeit sorgt – unabhängig davon, ob freiwillig oder unfreiwillig geplant. So kommt Jeanine trotz allen arroganten Bösewicht-Gelächters nicht umhin, Tris lebendig einfangen zu müssen, da nur sie eine mysteriöse Box der äußeren Mächte öffnen kann. Da muss selbst Jai Courtney voller Wut seine Pistole ins Gras schmeißen. Tris ist jedoch währenddessen damit beschäftigt, aufgrund eines Wahrheitsserums vor Publikum schluchzend zu quieken. Liegen derartige Darbietungen an den Groschenroman-Dialogen von Akiva Goldsman („Winter’s Tale“) oder an der (nett ausgedrückt) eher auf Action fokussierten Leitung Schwentkes? Ein Gespür für Logik war jedenfalls nicht zur Stelle, dafür zumindest der nur schwer verschleierte Spaß zur exploitativen Konzeptsteigerung. Dieser führt Tris nämlich direkt in die Arme ihrer Rivalin und somit in ein Arsenal an Intrigen und virtuellen Simulationen. Letztere wurden im Vorgängerfilm noch in behutsamen Portionen geliefert, erheben sich aber nun zur CGI-Hauptattraktion und dienen zudem der Bewältigung von Schuld, Verantwortung, Liebe und Hass. Eben ganz große Emotionen.

Der Ungewissheit vom Anfang wird im wortwörtlichen Zweikampf entgegen geboxt, wie auch andere Mitstreiter des verhaltenen Widerstands ihre Richtung jenseits der vorbestimmten Fraktionen finden. Eine späte Einsicht der Freimütigkeit, wie man es auch dem merkwürdig faszinierenden Film an sich zugestehen muss. Nichtsdestotrotz ist der Weg dorthin – im Narrativ wie auch in der Gesamtgestaltung – ein verworrenes Unterfangen, das zwar voller Sturm und Drang der Erlösung entgegen fiebert, aber nur selten Befriedigung findet. Das ist wohl auch der Fluch eines forcierten Franchise, das noch ein zweigeteiltes Finale (basierend auf einem Roman) vor sich hat: Der „Bestimmung“ entkommt man nicht.

Meinungen

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