„Es geht nicht darum, woher du die Sachen nimmst – sondern wohin du sie bringst“, sagte Jean-Luc Godard. Und Noah Baumbach antwortet mit seinem neuen Film „Gefühlt Mitte Zwanzig“: Es stimmt. Aber auch: Es stimmt in Maßen. In einer Welt ohne Originalität ist ein Dieb nämlich nicht, wer stiehlt. Sondern ein Dieb ist, wer stiehlt, aber die Bedeutung seines Diebesguts nicht erfassen kann; wer stiehlt, nur um zu besitzen. Jamie (Adam Driver) ist so ein Dieb. Doch er ist ein Dieb, der Godard versteht. Wenn Baumbach daher auf seinen halben Antagonisten schielt, blickt er auf einen Mittzwanziger, der eigentlich ein Mittdreißiger ist: ein Fetischist des alten Glaubens – mit Schallplatten, Brettspielen, Videokassetten, Büchern aus Papier und einer antiken Mercedes Selecta aus dem Jahr 1934. Das Vinyl hört er, die Schreibmaschine nutzt er. Noch dazu fährt er als ökologisch versierter Hipster Fahrrad statt Tesla und dreht Dokumentarfilme, die sich dem Anspruch eines Dokumentarfilms verwehren. Alles nur geklaut, fingiert, restauriert. Wer es mit Jamie böse meinte, würde ihn als Gag einer Public-Relations-Agentur verstehen, die einen neuen Jugendkult zu kommerzialisieren versucht, der bereits Jahrzehnte alt ist. Das Schöne an diesem Prototyp des optimierten Slackers aber ist, dass er einen Lebensstil pflegt, der tatsächlich bewundernswert scheint. Auch für Josh (Ben Stiller).

Der verheiratete Endvierziger ohne Kinder dreht ebenso Dokumentarfilme, meint es mit seiner Profession allerdings ernst genug, acht Jahre in einen Film zu investieren, der immer noch über sechs Stunden geht und sich laut seinem Schwiegervater „sieben Stunden zu lang anfühlt“. Was Josh und Jamie unterscheidet? Der Sandsack Alltag, das Gefühl zu leben. Wenn Frances in „Frances Ha“ als eine Art Prélude davon spricht, „noch keine richtige Person“ zu sein, meint sie auch, sich keiner Generation zugehörig zu fühlen und nicht zu wissen, wer sie ist. Josh ist ihr gleich – wie alle Figuren im Universum des Noah Baumbach einander gleich sind. Manche von ihnen mögen komischer sein, manche ernster, manche tragischer. Aber alle wirken sie in dieser Welt deplatziert. Als Josh sich seiner Krise bewusst wird, ist der Dampfer des konservativen Glücks bereits abgefahren – „nicht mit einem Knall, aber mit Gewimmer“. Kurz darauf geht er mit Jaime auf eine Zeremonie, die sich der Indianerdroge Ayahuasca verschworen hat und ihn anleitet, zu trinken, zu halluzinieren und zu kotzen, während ein Schamane Dämonen in die Flucht trommelt. Was für ein Culture Clash der Generationen! Irgendwann merkt Josh jedoch, dass er nicht vorgeben kann, jung zu sein. Mit einer Arthrose im Kniegelenk lässt sich eben schwerlich Rad fahren. Adé, cool Kids.

Bis zu dieser Erkenntnis badet Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Noah Baumbach in Arrangements, die bei ihm seit jeher popkulturellen Stereotypen unterliegen, sich nun aber zudem Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ verpflichten. Obwohl jene Triebfeder der Geschichte zur Maskerade gerät, weil sie sich einzig der Rezitation bemüht, interessiert sich Baumbach doch auf groteske Weise „für das schöne kurze Spätsommerleben“, nach welchem sich Ibsen in einem Brief an Emilie Bardach sehnte. Denn David Bowies „goldene Jahre“ tauchen hier ebenso auf wie Fedora-Hüte, handgemachte Eiscreme und ein Tanzcrashkurs in Hip-Hop. Selbst Ben Stiller reanimiert seinen Roger aus „Greenberg“, indem er ihn sanft ummünzt vom neurotischen Sozialphobiker zum intellektuellen, scheinbar kosmopolitischen Spießbürger, der seltsam ist, weil er nicht in die Gänge kommt. Auf was wartet Josh? Baumbach ist sich dessen nicht sicher. Es scheint bisweilen sogar so, als ob er der Generation der Mittzwanziger mehr abgewinnen könne als seiner eigenen Generation der Mittvierziger. Immerhin fackelt der Mittzwanziger Jamie nicht lange, sondern lügt, wenn es seinem Dokumentarfilmprojekt dienlich ist. Dabei denkt er sich nichts. Höchstens: That’s art, that’s life. Ein Motto, das gleichsam für Baumbachs komödiantischsten Film seit „Kicking and Screaming“ gilt. Die spröde Melancholie, das Sentimentale und Zerbrechliche aus „Der Tintenfisch und der Wal“ ist endgültig passé. Was schade und schön zugleich ist, da es den Schwindel des Lebens deckt.

Am Ende findet Josh das ach so unmögliche Glück auf seine Weise. Weil er merkt, dass es für jedes Alter seine Zeit gibt. Oder wie Jim Jarmusch auf Godards anfängliche Worte antwortete: Zelebriere den Diebstahl, denn Authentizität ist alles! Wer altert, muss bei sich bleiben. Letztlich ist Josh kein skrupelloser Unternehmer wie Solness, keiner, der „entsetzliche Angst vor der Jugend“ zu haben braucht und fürchten muss, dass sie hereinstürmt. Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, die Jugend in sein Leben zu lassen. Denn wer weiß, was man aus ihr lernt?

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