Bei allem kinematografischen Geschick, haarsträubende Spannungskomplikationen akribisch abzufilmen, all das ins Kameraobjektiv zu rücken, was als unverzichtbar und gleichzeitig unersetzlich gilt; präzise vor allem die analytisch aufeinander abgestimmten, sich verdichtenden Schritte von der Idee bis zur Ausführung zu dokumentieren, sich aus einer hilflosen Lage mit dem archaischen Willen des öl- und schweißverschmierten Exilanten herauszuwinden, bei dem es unbedeutend scheint, ob er sich in die Luft sprengt oder nicht: Mühelos lässt sich Henri-Georges Clouzots beißend-schwüler „Lohn der Angst“ als Schablone des kinetischen Actionkinos beschreiben. Eine fiebrige Meditation, den Naturgewalten über tiefe Schlaglöcher, breite Pfützen und gefällte Bäume zu trotzen.

Doch viel mehr als das, viel mehr als Zement und Baustaub, greift Clouzot einen intellektuellen Unterbau auf, vier kakofonische Gestrandete aus der Gosse einem inneren Beklemmungszustand zu unterziehen, die schlussendlich einem nihilistischen Existenzialismus zum Opfer fallen: Indem sie sterben, schreien sie ihre Kritik direkt über den Abgrund der Straße hinaus. Diese Kritik ist in ihrer Nachhaltigkeit universeller denn je, sie reflektiert die ausbeuterischen Machenschaften einer dem Menschsein monetäre Interessen gegenrechnenden Ölindustrie, die mit dem unausweichlichen Tod von vier hoffnungsvollen Männern, die mit der Angst ein Abenteuer bestritten haben, um dem Siechtum zu entweichen, eine antiamerikanische Grenze setzt. Schnitt. Das war’s. Stopp. Bis hierhin, nicht weiter. Menschen, kein Material, würden sie sagen, die Opfer einer Industrie.

Vier Menschen, das sind: ein Illusionsloser, der sich längst damit abgefunden hat, dass eine winzige Erschütterung das Ende allen Lebens bedeuten könnte (Yves Montand), ein Identitätsloser, der den harten Kern verliert und um seine kulturelle Identität nackt entkleidet wird (Charles Vanel), ein Humorloser, der stets der Gefahr des Moments mit besonnener Ruhe begegnet (Peter van Eyck), und ein Temperamentvoller (Folco Lulli), der in der Gefahr des Moments dagegen eine Herausforderung sieht, die unbedingt mit Humor optimistisch angegangen werden sollte.

Wo diese vier sich auf ihrem Irrweg befinden und hindurchschlängeln, in diesem Niemandsland unendlicher Marschrouten, in diesem fast schon unabhängigen Biotop, auch das harmoniert mit dem Fixpunkt der (formal in zwei Teile begrenzten) Geschichte. Wir lernen diese vier Männer erst durch deren Meinungsverschiedenheiten im Zuge einer fundamentalen Bedrohung besser kennen. Wir finden heraus, dass in ihnen etwas steckt, was nicht mit Geld zu kaufen, zu ersetzen ist. Etwas, das eine Ideologie formt, und sei es auch nur die, sein Ziel zu erreichen und Sekunde für Sekunde, Minute für Minute Mensch zu sein. Überwiegend die Bilder jener kathartischen Selbsterkenntnis sind es dann, die sich auszeichnen und nahezu einmalig ein ambivalentes Empfinden übertragen. Die Apokalypse, gekoppelt mit einer tiefen Menschlichkeit. Ruckartig tauscht Clouzot dabei das Herzliche (eine freudestrahlende Umarmung, nachdem ein schwerer Stein erfolgreich weggesprengt wurde) gegen das Diabolische aus (Montand sinkt vor der brennenden Erdölquelle erschöpft zu Boden), das Unabwendbare gegen das Unnachgiebige in überlebensgroßen, mythischen Gesten.

Wie dicht ein Menschenleben unter den gegebenen Umständen davon abhängt, ob es weiterexistiert oder nicht, kontrastiert Clouzot mithilfe eines stakkatohaften Schnitts, der die Einheitlichkeit der Zeit in abgekapselte Bruchstücke zerbröselt, in unzählige Nahaufnahmen, die, besonders im Hinblick auf die markante Schlussszene, das Leben mit dem Tod wie einen hinausreichenden Zusammenbruch bestehender Ordnungen parallelisieren. Ein anderes Mal zeigt Clouzot aber auch, wie schnell ein Menschenleben vorbei sein kann – wenn die Flamme vom Streichholz erlischt und die Explosion in der Ferne über die Sinnlosigkeit des Hier und Jetzt urteilt. Ohne Tricks, ohne Gezeter. So, nicht anders.

Meinungen

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