Nichts ist Alles. Besonders bei Khavn De La Cruz, den niemals interessierte, wie etwas ist, sondern wie etwas nicht ist. Dies gilt freilich auch für sein neuestes Projekt „Ruined Heart“, welches mit dem verlegenen Untertitel „Another Love Story Between a Criminal and a Whore“ aufwartet und durch ihn seine gesamte Handlung offenbart. Wie bereits in der Mockumentary „Mondomanila“ aus dem Jahr 2010 – dem ersten Film Khavns, der in den deutschen Kinos startete –, leitet der Vorspann mit den Worten „This is not a film by Khavn“ ein und definiert abermals den schnappatmigen Experimentalismus des Philippinos, mit dem er neben Brillante Mendoza den Fundus der Elendspornografie propagiert. Sein jetzt schon monströses Schaffen mit über vierzig Werken, die mal kurz, mal lang, mal dokumentarisch, mal satirisch, mal melodramatisch sind, wagt entgegen dessen allerdings mehr als artifiziellen Plagiarismus: Es sucht nach einer im Magen rumpelnden Komposition des Nichtfilms.

Was Regisseur und Produzenten als Punk-Noir-Oper titulieren, äußert sich in der Gier nach Improvisation bis zum Tod des rein Assoziativen oder Konkreten. Zwar handelt „Ruined Heart“ von einem Kriminellen, der sich in die Hure seines Mafiabosses verliebt und mit ihr aus den Fängen Manilas fliehen möchte. Aber die korrumpierte Synästhesie liegt eben nicht in einer Erzählung, die sich als maximal banal bezeichnen ließe, sondern in der psychedelischen Trance, die Khavn wie kein Zweiter erschafft. Hier präsentiert er gar lose Glieder eines Narrativs, welches laut Drehbuch aus „fünfundvierzig Szenen in zufälliger Reihenfolge“ besteht und diese Beliebigkeit pragmatisch nimmt. Inmitten von Christopher Doyles Lo-Fi-Digital-Ästhetik, die den Fetisch im Sperma findet, wühlt sich daher statt einer Geschichte ein rein musikalisches Punk-Pop-Trash-Leitmotiv durch die Slums – von Stereo Total über Scott Matthew zu Bing Austria and the Flippin Soul Stompers, die alle gleichsam den von Khavn geschriebenen Song „Ruined Heart“ interpretieren und variieren.

Die Figuren hingegen sprechen nicht. Und selbst wenn sie sprechen, gelten ihre Worte wenig, da sie nicht untertitelt werden. Für Khavn ist Kommunikation eben nicht vordergründig in der Lautsprache verankert. Denn Kommunikation ist ein dreckiges, konstruktives Scheusal, bedingt durch Körperflüssigkeiten und die Sintflut menschlicher Wut. Ein bisschen scheint „Ruined Heart“ daher auch eine Reinkarnation von William S. Burroughs’ „Naked Lunch“ zu sein, ein „nackter Rausch“, „ein gefrorener Augenblick, in dem jeder sieht, was auf der Spitze jeder Gabel steckt“.

Meinungen

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