Folgende Konstellation ist mal recht ungewöhnlich: Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ aus dem Jahre 1992, ein Western von Oscar-prämiertem Weltformat, wird von japanischer Seite als „The Unforgiven“ neu verfilmt. So wie das asiatische Kino stets vom westlichen Markt umgeändert verpackt wird, ist das nur recht, speziell im Hinblick auf Eastwoods Durchbruch als Western-Star im „Yojimbo“-Remake „Für eine Handvoll Dollar“ (1964). Jenem lang bestehenden, kulturellen Austausch mangelt es jedoch nicht an Respekt. Und so adaptiert der japanisch-koreanische Regisseur Lee Sang-il die einstige Dekonstruktion des Western-Mythos werkgetreu ins Samurai-Genre. Die Grundprämisse des Narrativs bleibt also erhalten, die neuen regionalen Umstände äußern sich aber prägnant wie folgt: In der Umbruchphase vom Regierungssystem des Tokugawa-Shogunats zur imperialistischen Meiji-Ära, circa 1868, begann auch eine Zeit der Verfolgung jener letzten Gefolgsleute und Samurai von einst. Brutalität glich in dem Sinne Brutalität aus, selbst hinsichtlich des zuvor präsenten Ehrenkodex, der aber auch im Zweifelsfall jede Bedeutung verlor.

Für Jubei (Ken Watanabe) führte dieser Pfad des Todes ins Leere und in einen mühsamen Überlebenskampf der rücksichtslosen Politik, dem er seitdem abschwören wollte. Zurückgezogen als Bauer mit zwei Kindern hofft er in der fruchtlosen Einöde auf Hokkaidô, abgegrenzt vom Festland, auf ein anderes Dasein – eine Hoffnung, die er seit dem Tod seiner Frau innehält und mit Blick zum Horizont fixiert. Währenddessen geben die neuen Machthaber, ebenso unabhängig von der Zentralregierung, in einer kleinen Grenzstadt den zynischen Ton an; speziell, was den Umgang mit Frauen angeht. So lässt Gesetzeshüter Ichizo Oichi (Kôichi Satô) zwei Kerle mit einer verkraftbaren Strafe davonkommen, obwohl diese einer jungen Prostituierten das Gesicht zerschlitzten. Angesichts dieser Ignoranz seitens des Gesetzes bleibt den hilflosen Frauen nichts anderes übrig, als sich zur gerechten Genugtuung an freiberufliche Kopfgeldjäger und Banditen von außerhalb zu wenden.

Jubei wird von seinem alten Kameraden Kinga Baba (Akira Emoto) in die Sache mit reingezogen, um seine Kinder weiter versorgen zu können. Wirklich rüstig kann und will er sich allerdings schon lange nicht mehr als Rächer und Waffenbruder erweisen. Im Laufe der Zeit ist er dem Töten kalt geworden, so wie auch hier meist nur Schnee vor ihm liegt oder um ihn weht. Auf die Art kommt er weniger ruppig daher als Eastwood in seiner entsprechenden Rolle als ehemaliger Dieb Bill Munny, Regisseur Lee Sang-il verstärkt damit schon früh die Schwerfälligkeit abgestandener Ideale in einem Land ohne Aussicht. Chauvinismus, Dreck, Rassismus gegenüber Ureinwohnern und die niederprügelnde Selbstgefälligkeit der Mächtigen finden wie im Ursprungsfilm auch hier ihren bitteren Platz, in gnadenlose Erstarrung gemeißelt. Stilistisch und thematisch besitzt das reichlich Gemeinsamkeiten mit der ruhigen und doch ermatteten Elegie des Vorbilds in Cinemascope, die Eigentümlichkeit des Ambientes findet sich anhand seiner gleichen Wurzeln des bestehenden menschlichen Zustandes ganz natürlich und stimmig ein.

Daraus zeichnet sich mit inszenatorischer Gewissheit ein gleichsam auf kleinstem Boden ablaufendes und doch von massiver Leere erdrücktes Gesellschaftsbild ab, in welchem sich das Zueinander nur noch heimlich vermitteln darf oder in der Brutalität sein Ende findet. Hier braucht man auch gar nicht mehr vorlaut mit Männlichkeit prahlen, weder jung noch alt: Echte Männer der Verantwortung setzen sich jenseits der Profilierung nur noch für Hoffnung und Freundschaft ein, auch wenn sie dafür bewusst die letzten Reserven ihrer Sterblichkeit aufgeben. Die Vergangenheit und der sich stets wiederholende Kampf unter Menschen holen einen sowieso ein; lieber verbrennt man da mit und lässt die Klinge im Magen abbrechen, als dass man seine Mitmenschen noch länger dem Grauen überlässt. Hauptsache, der Horizont lässt dadurch für manche noch immer den Blick zu einem anderen Leben frei. Klar sind das auch Perspektiven, die Eastwood schon vor zwanzig Jahren ähnlich beleuchtete, ihre Geltung verlieren sie dadurch noch lange nicht; zeigen eindrücklich, wie repräsentativ sie für die Bemühungen humanistischer Verantwortung auf der ganzen Welt stehen können.

Letztendlich erlaubt sich Lee Sang-il jedoch im Vergleich weniger Momente der Entspannung, Verhärtung oder auch Ambivalenz zur Obrigkeit. Er bleibt stattdessen angesichts der Verhältnisse angemessen konkret, aber auch sprachlos und zieht sogar noch etwas mehr vom ursprünglichen Pathos ab, insbesondere beim Ende. Das Gute sowie das Schlechte der Werte des Samurai und seiner Ära erleben hier ihre letzte Renaissance. Klar ist jedoch allen, dass sie begraben werden müssen. Die visuelle Ebene verinnerlicht dies mit unaufgeregter Objektivität und mischt sich zwar ebenso wie eine Kugel in eventuelle Eskalationen ein, beschränkt sich dabei aber auch auf eine Stringenz jenseits des Extravaganten oder Exploitativen. Höchstens in der Musikuntermalung spiegelt sich teilweise eine Melancholie wieder, welche gleichzeitig über die Charaktere getragen wird. Stimmig wirkt das vom Genre her als Mittel der Emotionalisierung auf jeden Fall, nichtsdestotrotz sind die meisten hier gezeigten Gefühle auch so vollkommen spürbar, trotz der Selbstverständlichkeit des Remakes im Hinterkopf. Da mag keine Transzendenz vom alten Material heraus geschehen, auf eigenem Boden fruchtet diese treue Neuinterpretation aber schon in Augenhöhe.

Meinungen

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