Es gibt Film, der zählt einzig auf seine Referenzen, um ihm auch den letzten Funken Originalität zu rauben. So sagen selbst die Pressematerialien schon über Damián Szifróns „Wild Tales – Jeder dreht mal durch!“, er pendele irgendwo zwischen Joel und Ethan Coen, Quentin Tarantino und Pedro Almodóvar – was ein vermeintlich kleines Wunder ist, produzierte letzterer doch ohnehin das argentinische Scharmützel über die Explosion des Menschen in seiner Wut. Eine Glanzszene dramatischer Ironie leitet diese Anthologie, die natürlich kein wahrhaftiger Szifrón mehr ist, allerdings noch ein: Über den Wolken reist dort eine Gruppe sich eigentlich unbekannter Menschen, bis ein Laufstegmodel gegenüber einem Musikkritiker bemerkt, dass ihr erster Freund von eben jenem Kritiker einmal in Grund und Boden zerstoben wurde. Der Loser schlägt natürlich zurück, jagt das Flugzeug als Kapitän in den Himmel – und mit ihm alle, die ihm im Leben nichts Gutes wollten. Das ist konzentriert, rabiat, frenetisch. Ganz Harakiri. Ein grotesker Mittelfinger, wenn der Mensch mal ausrastet. Gleichzeitig bleibt es nur der erste Kurzfilm einer Reihe von insgesamt sechs, deren Atem mangels feuriger Euphorie und eines übergeordneten Sinns in Bredouille gerät.

Eine Expansion des Banalen kennzeichnet infolge jede Sequenz, die es von Rattengift bis zur wortwörtlichen Raserei treibt und doch zunächst immer die Frage stellt, ob das unbedingt sein muss, sie zweckdienlich aber gleich selbst beantwortet. Überraschend überraschungslos. Darauf detonieren bei Szifrón Lachbomben wie in einem Sketch, der sich bis zum reinen Gedankenspiel überreizt und mit Figuren frotzelt, welche genauestens wissen, was folgt und wie es folgt. „Wild Tales – Jeder dreht mal durch!“ wirkt darin systematisch und (obgleich kurzweilig) vielmehr naiv. Die Batterie leert sich noch vor dem Showdown bei einer Hochzeit, die Mann und Frau zur blutrünstigen Trennung und nicht zur liebreizenden Vereinigung führt. Damián Szifrón kreiert so nichts weniger als einen später kommerziellen Geschlechtsverkehr um die personifizierte Sinnsuche. Ein Film wie eine Mundspülung, die letztlich ihren unangenehmen Eigengeruch nicht mehr im Zaum halten kann. Einmal ausspucken, bitte!

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Wild Tales – Jeder dreht mal durch!“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 03.12.2015

Krampus

Michael Dougherty verknüpft Festtagshumor und -horror und fetzt damit den Dachboden weg.

Kinostart: 03.12.2015

Schöne Jugend

Jaime Rosales zeigt seine Charaktere in einem Vakuum, das sich den Zugang zur Jugend verwehrt.

Kinostart: 03.12.2015

The Duke of Burgundy

Peter Strickland zeichnet eine Liebe, die sich der Ungewissheit von Zeit und Raum hingibt.

Kinostart: 03.12.2015

The Perfect Guy

David M. Rosenthal stolpert in peinlicher Redundanz durch die Topoi des Psychothrillers.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.