Das griechische Gegenwartskino hat Eier, das ist spätestens seit Yorgos Lanthimos’ „Dogtooth“ bekannt. Mit dem daraus geborenen Mut stößt auch der neue Film von Syllas Tzoumerkas hervor – doch auch wenn „A Blast – Ausbruch“ mit ausgiebiger Radikalität seine Eier auspackt, bringt der letztendliche Samenerguss keine Befriedigung. Mit gerade 84 Minuten Laufzeit präsentiert sich der Film in anachronistischer Parallelmontage als Wutstück zwischen wilder Unbedarftheit und verzweifelter Ratlosigkeit. Anhand von Protagonistin Maria (Angeliki Papoulia) erleben wir dabei einen Strom von Stimmungen, der sich aus dem Wandel ihrer familiären Verhältnisse und der Politik gründet. Zusammen mit der Mutter im Rollstuhl und Schwester Gogo (Maria Filini) leitet sie zunächst den Familienkiosk, als angehende Jurastudentin steht ihr aber die Zukunft zu Füßen. Ihr Gatte, der Seemann Yannis (Vassilis Doganis), schenkt ihr derweil drei Kinder und reichlich sexuelle Exzesse.

Es könnte nicht besser laufen, doch allmählich schleichen sich Zeichen des Zerfalls ein. Durch die Distanz zu Yannis entwickeln beide Seiten Ersatzbefriedigungen: Sie schaut sich zur Erinnerung an die Lust wahllos Pornos im Internetcafé an, während er auf seinen Reisen den direkten Körperkontakt sucht (auch mit Männern – frei von Klischees ist „A Blast“ nun nicht). In Marias Familie hängt ohnehin der Haussegen schief: Gogos Ehemann ist ein Kinder missbrauchender Faschist und die Frau Mutter hat jahrelang Steuern hinterzogen, womit sie die Existenz aller in eine finanzielle Notlage und womöglich noch in den Knast reitet. Für Maria bedeutet die gesamte Situation purer Stress – und der Film passt sich nur allzu gerne entsprechend aufreibend an. Auf der visuellen Ebene drängen Handkamera und Schnitt auf wirre und mulmige Nervosität; der pulsierend-urbane Score von drog_A_tek zerrt ebenso effektiv am Seelenkorsett.

Was dem Ganzen allerdings ein gewisses Maß an Nachfühlbarkeit abzieht, ist zum einen die repetitive Wirkung der Inszenierung, welche sich in zahlreichen Freizügigkeiten auf jeder inneren Aussage einen runter holt, auf die Dauer aber nur bedingt sinnlich ankommt; zum anderen ist jede Charakterisierung von permanent vulgärer Frechheit gezeichnet. Anhand dessen will der Film es im Nachhinein schaffen, dass man die kindische Nachlässigkeit von Maria und Gogo angesichts der Umstände verzeiht; letztendlich mündet deren Verhalten aber auch nur in irrationalen Hass und rotzigen Missmut. Maria erklärt so im Monolog innerhalb einer Selbsthilfegruppe, dass sie aufgrund der überwältigenden Ausweglosigkeit ihrer Situation ihr Leben wegschmeißen will und dafür sogar auf die Liebe ihrer Familie pfeift. Jene Konsequenz drückt schon die fatalistische Tragik eines Landes aus, das sich kontinuierlich in Schulden reitet und seine souveräne Fassung abgestritten bekommt.

Das Problem ist, dass Regisseur Tzoumerkas im nationalen Selbsthass nur den Weg der Wut kennt und aus den Augen verliert, wie plump er das Zeitgeschehen würgt und in spekulativen Zusammenhang stellt. Seine Protagonistin ist zwar nur halbwegs als Sympathieträgerin gedacht, steht aber hauptsächlich als Vehikel bedeutungsschwangerer Botschaften ein, das sich im proletarischen Einzelschicksal an die Korruption gesichtsloser Großkonzerne anhängt und dafür sogar den eigenen Vater herzlos in die Flammen wirft. Was zieht man daraus? Ein politisches Statement ohne Taktgefühl, zwar gnadenlos von Respekt, aber auch von Einsicht befreit; ein Punk-Film ohne die Glorie der Anarchie, dafür mit Vollgas in entschiedene Ermattung rasend; eine Selbstbefriedigung, bei der man nur zuschauen, nicht anfassen und fühlen darf. Doch so ein „Blast“ darf auch mal knallen, wie er nur möchte – da sollte man ihm seine Eigenständigkeit nicht leugnen. In seinem Feuer stecken schwitzige Energien und pralle Schönheiten, welche die Faszination zur Destruktion unmittelbar greifbar machen. Nur wird nicht jede Fläche, zu der das Feuer findet, ebenbürtig angesteckt. Schall und Rauch sind hierin leider unvermeidlich.

Meinungen

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